taz.de -- Filme über und von Sinti*zze und Rom*nja: Kritische Spurensuchen

Das Filmfestival „Ake dikhea?“ zeigt Werke aus der Filmszene von Sinti*zze und Rom*nja, die mal bunt, mal grauenvoll sind.
Bild: Posiert gerne heroisch: Queerer Sänger Lindy im Film „Lindy. The Return of Little Light“

1855 im rumänischen Hinterland: Aufruhr im Haushalt. Der Besuch eines hofadligen Verwandten wirbelt das Anwesen einer rumänischen Landadligen durcheinander, in deren Küche Maria und ihr Sohn Dinca arbeiten. Sie leben bei der Adligen in Versklavung.

Der Besuch des Hofadligen eröffnet Maria eine Chance. In den Fluren vor den Zimmern der Herrschaften wartet sie auf ihren Moment und präsentiert dem Hofadligen den „Brief der Vergebung“, der ihr Freiheit verspricht. Doch sie will die Freiheit nicht für sich, sondern für ihren Sohn. Alina Şerbans „Letter of Forgiveness“ inszeniert eine [1][Momentaufnahme des Leben von Rom*nja], bevor 1856 in Rumänien die Sklaverei abgeschafft wurde.

Şerbans Kurzfilm soll später einmal Teil eines Langfilms werden. Als Kurzfilm ist er nun Teil des vierten „Roma-Filmfestivals Ake dikhea?“. Eröffnet wird es am 19. 11. mit der Premiere von „Lindy. The Return of Little Light“ von Ida Persson.

Persson porträtiert in ihrem Film den Sänger und Schauspieler Lindy Larsson, der in Südschweden als Kind einer Familie von Rom*nja-Travellern aufwuchs. Nach Anfeindungen in seiner Kindheit erschuf Larsson die Figur von „Little Light“: Ein Superheld, der Licht verbreitet. Persson begleitet Lännerberg bei seiner Arbeit als queerer Performancekünstler.

Erinnern ohne Gedächtnis

Ein Schwerpunkt des Festivals liegt auf Filmen, die sich mit dem Völkermord an den europäischen Sinti*zze und Rom*nja befassen. Roz Mortimers „The Deathless Woman“ beginnt mit der Fotografie eines Sees. Das Foto wird [2][Ausgangspunkt einer Spurensuche]. „Was macht man, wenn es keine Aufzeichnungen und nichts zu sehen gibt.“ Eine junge Forscherin trägt allmählich Hinweise auf Massaker an den Bevölkerungsgruppen im Zweiten Weltkrieg zusammen.

Nahe des ungarischen Várpalóta erschossen Anhänger der ungarischen Pfeilkreuzler und lokale Polizisten ungarische Rom*nja. Nahe des polnischen Dorfes Szczurowa ist am Ort eines anderen Massakers nur noch Wald zu sehen. Im Dorf [3][erinnert ein Gedenkstein] an das Massaker.

Roz Mortimer wählt für ihren Film eine interessante Form: der Film erzählt die Spurensuche in einer Art fiktionalisierten Dokumentation, durchbricht die Suche mit blitzartigen Rückblenden und webt zudem die Stimme einer der Ermordeten ein. Zusammen mit einer beeindruckend intensiven Tonebene erzeugt Mortimer so eine horrorfilmartige Spannung, die das Grauen des Erzählten unterstreicht.

Große Chance für seltene Filme

„The Deathless Woman“ ist einer der Höhepunkte des diesjährigen Festivals. Abgrundet wird das Programm durch eine ganze Reihe weiterer kurzer und halblanger Filme. Auch in der vierten Ausgabe ist „Ake dikhea?“ eine Gelegenheit zur Begegnung mit Filmen, die es sonst in Deutschland nur selten auf die Leinwand schaffen.

Umso erfreulicher, dass die Festivalmacher:innen das Festival nicht absagen mussten, sondern auf eine Onlineveranstaltung umplanen konnten. Anders als viele andere Festivals setzt das „Ake dikhea?“ auf lineare Veranstaltungen, die den für das ursprüngliche Festival vorgesehen Programmplätzen entsprechen.

18 Nov 2020

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AUTOREN

Fabian Tietke

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