taz.de -- Berlin und die Corona-Sperrstunde: 23 Uhr Schotten dicht

Für Kneipen und Bars ist die Sperrstunde eine Katastrophe. In der Branche herrscht eine große Wut gegenüber denen, die die Regeln ignoriert haben.
Bild: Vorbereitung auf die Öffnung nach dem 1. Lockdown: der Wirt Heiner Klinger im Slumberland

Die ab Samstag geltende Sperrstunde trifft die Berliner Bar- und Kneipenlandschaft hart. „Je später der Abend, umso mehr wird getrunken und desto besser der Umsatz“, sagt der Wirt der Schöneberger Szenekneipe Slumberland, Heiner Klinger. Das einzig Gute an der neuen Regelung sei, dass sie diesmal für alle gelte. Vom ersten Lockdown waren [1][Kneipen und Bars] wesentlich länger betroffen als Gaststätten.

Ab kommendem Samstag 0 Uhr gilt in Berlin eine Sperrstunde. Von 23 Uhr bis 6 Uhr früh müssen Kneipen, Bars, Restaurants und Spätis schließen. Tankstellen dürfen nur noch Treibstoff – wohlgemerkt Benzin – verkaufen.

Das Problem sei, dass die Kneipen mitbestraft würden, die sich – so wie das Slumberland – an die Hygiene- und Abstandsregeln gehalten hätten, sagt Slumberland-Wirt Klinger zur taz. Das bestätigte auch der Hauptgeschäftsführer des Berliner Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Thomas Lengfelder.

In der Branche herrsche eine große Wut gegenüber den Betrieben, die durch Nichteinhalten der Coronaregeln wirtschaftlich von der Gewissenhaftigkeit der anderen profitiert hätten. Die Einhaltung der Vorschriften sei kaum kontrolliert und sanktioniert worden, sagte Lengfelder am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses.

5.000 Euro Bußgeld

Eine Bekannte habe mal die 110 angerufen, um eine Party auf einem Spielplatz anzuzeigen, erzählt Klinger. Ob sie die Leute anschwärzen wolle, habe der Beamte am Telefon gefragt.

Die Sperrstunde soll die Kontrollen nun offenbar erleichtern. Bei Verstößen würden Bußgelder ab 5.000 Euro erhoben, kündigte der Senator für Verbraucherschutz, Dirk Behrendt (Grüne), an.

Die Polizei brauche nun nur noch an dem Laden vorbeizufahren und ein Foto zu machen, wenn drinnen noch Betrieb sei, vermutet der Slumberland-Wirt. Für den Kneipenbetrieb heiße das: 22 Uhr letzte Runde. Ab 22.30 Gäste raus und 23 Uhr: Licht aus und Schotten dicht.

Normalerweise sei das Slumberland wochentags bis 2 oder 3 Uhr in der Früh auf, freitags und samstags bis morgens 4 Uhr. Er hätte sich als Kompromiss 1 Uhr als Schließzeit gewünscht. Denn das sei die Hauptumsatzzeit. „Wir haben die Tische reduziert und uns an alle Auflagen gehalten, und nun haben wir, wie nach dem ersten Lockdown, wieder die Arschkarte.“

Eine Katastrophe

Die Sperrstunde könne nur als „Todesstoß“ bezeichnet werden, sagte der Mitbegründer der Szenekneipen-Initiative „Bars of Berlin“, Roberto Manteufel, im Wirtschaftsausschuss.

Auch Jamil Suliman, Betreiber der Bar Sombrero in Steglitz, spricht von einer Katastrophe. Viele Bars hätte sich vom ersten Lockdown noch nicht erholt, die Hilfen des Senats seien spät oder gar nicht gekommen. „Einige sind schon kaputt, andere wissen es nur noch nicht, weil sie sich unter Insolvenzschutz befinden.“

7 Oct 2020

LINKS

[1] /Berliner-Kneipen-in-Zeiten-von-Corona/!5681604&s=plarre+Arschkarte/

AUTOREN

Plutonia Plarre

TAGS

Schwerpunkt Coronavirus
Berliner Senat
Lockdown
Schwerpunkt Coronavirus
Kneipensterben
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Kneipensterben
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus

ARTIKEL ZUM THEMA

Diskussion um Maskenpflicht in Berlin: Draußen noch ohne Mund-Nasen-Schutz

Berlin will Coronamaßnahmen erst mal nicht verschärfen. Dienstag berät der Senat, ob in bestimmten Situationen auch draußen die Masken Pflicht wird.

Sperrstunde in Berlin: Gute Nacht, Nachtleben!

Ab diesem Wochenende müssen Kneipen, Bars und Spätis um 23 Uhr schließen. Wie gehen Nachtschwärmer*innen und Wirt*innen damit um?

Corona-Infektionen: Schluss mit dem Jugendbashing

Die Rücksichtslosigkeit der Jugend soll für den Anstieg der Infektionen verantwortlich sein. Doch Belege fehlen für diese andauernden Vorwürfe.

Neue Coronarichtlinien: Weniger feiern und reisen

Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt wegen Corona mehr Beschränkungen, aber keinen erneuten Lockdown in Aussicht.

Berliner Kneipenchefin über Sperrstunde: „Das ist das Schlimmste“

Das „Schwarze Café“ ist bekannt dafür, dass es immer geöffnet hat. Betreiberin Inge Trimbur darüber, was die Sperrstunde für die Kultkneipe bedeutet.

Berliner Gastronomen und Corona: Draußen nur Wärmflaschen

Heizpilze und geheizte Zelte sind schlecht für das Klima. Aber wie könnten sich Cafés und Bars über den Winter retten?

Corona-Hotspot Neukölln: „Die Party ist vorbei“

Sperrstunde und noch strengere Kontaktbeschränkungen für Privatfeiern sind beschlossen. Ein Interview mit Falko Liecke, Gesundheitsstadtrat von Neukölln.

Coronanews weltweit: Infektionszahlen steigen rasant

Die Gesamtzahl der Infizierten in Deutschland klettert über 300.000. Auch in Frankreich, Großbritannien und den USA nehmen die Infektionen zu.

Berliner Kneipen in Zeiten von Corona: „Wir haben die Arschkarte“

Speiselokale dürfen ab dem 15. Mai öffnen, Kneipen und Shishabars nicht. Heiner Klinger, Wirt der Szenekneipe Slumberland, fordert Gleichbehandlung.