taz.de -- Klimabewegung und Intersektionalität: Da geht noch was!
Die Klimabewegung muss Antirassismus, Queerfeminismus und Klassenperspektiven mitdenken. Noch tut sie das nicht genug.
Die Klimakrise macht nicht alle gleich, sondern verstärkt bestehende Ungleichheiten. Sozio-ökonomische Bedingungen beeinflussen, ob wir uns an die Folgen der Klimakrise anpassen können. Sexistische Strukturen und koloniale Kontinuitäten schreiben Hierarchien fort und bestimmen darüber, wessen Lebensgrundlage wie stark bedroht ist. Was gilt als schützenswert und wessen Stimme findet Gehör?
Es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne [1][Kapitalismuskritik], ohne Antirassismus und Queerfeminismus. Doch die Klimagerechtigkeitsbewegung wird diesem Anspruch nicht ausreichend gerecht.
Die Realität von weißen, cis-männlich dominierten Räumen muss viel stärker reflektiert werden. Dafür müssen wir intersektional denken: Wir müssen verstehen, wie unterschiedliche Betroffenheiten zusammenhängen, einander überschneiden und auch widersprechen. Und wir müssen den Blick auf mögliche Sollbruchstellen des intersektionalen Konzepts richten. Dann stellen sich Fragen, deren Nichtbeachtung das Potenzial von Intersektionalität zu untergraben droht.
Erstens: Werden alle Diskriminierungsformen mitgedacht? Hier kann es zum Beispiel darum gehen, eine antisemitismuskritische Perspektive zu erarbeiten und eine Kapitalismuskritik zu formulieren, die nicht verkürzend und strukturell antisemitisch ist.
Zweitens: Wird die sozio-ökonomische Frage adressiert? Wird also bei der Analyse der Auswirkung von Billigfleisch auf das Klima auch einbezogen, wer sich welche Lebensmittel leisten kann? Mit anderen Worten: Wer das Privileg hat, in den Industrieländern zu leben, hat nicht automatisch das Privileg, Biolebensmittel zu kaufen. Wenn das mitgedacht wird, ist Intersektionalität in der Lage, neben der Diversitäts- auch die Klassenperspektive mit einzubeziehen und diese vermeintlichen Gegensätze in einem verbindenden Narrativ aufzulösen.
Der Blick auf die Dimensionen der [2][Klimaungerechtigkeit] zeigt: Wir brauchen eine queere Politik der Vielfalt, die patriarchale und rassistische Wirklichkeiten angreift. Und wir brauchen eine Politik, die die sozio-ökonomische Ungleichheit in die Zange nimmt. „Tiefrot und radikal bunt“ eben, wie Julia Fritzsche im gleichnamigen Buch fordert. Die intersektionale Perspektive macht unmissverständlich klar, dass wir auf dem Weg in eine klimagerechte Welt nicht nur für wirklich grüne Klimapolitik kämpfen müssen, sondern auch für tiefrote Transformation und radikal bunte Lebensformen.
26 Sep 2020
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