taz.de -- Wahlkampf in den USA: Das Entscheidende fehlt
Joe Biden setzt im beginnenden Wahlkampf auf die Versöhnung des Landes. Dabei braucht es jetzt Leidenschaft und Parteilichkeit.
Der stärkste Moment des Parteitags der [1][US-Demokraten] war zugleich der schwächste. „Erinnert Ihr Euch an Führung? Ja, für ein paar Minuten“, schrieb eine Reporterin der New York Times unter dem Eindruck der virtuellen Versammlung. Auf englisch liest sich das melodischer. „Remember leadership? For a few minutes, yes.“ Etwas wie Sehnsucht klang in den Worten an.
Es war aber nicht [2][Joe Biden], der die Sehnsucht für diese wenige Minuten stillen konnte, und es war auch nicht Kamala Harris, die potentielle Vizepräsidentin. Gemeint war ein grimmiger, ein entschlossener Auftritt Barack Obamas. Und ja, der Kontrast zwischen Biden und [3][Obama] war desillusionierend. Er offenbarte unweigerlich eine Schwäche von Biden, die bisher als dessen Stärke galt: die Pose des Versöhners.
In einer Zeit von 175.000 Covid 19-Toten und einer zornigen Antirassismus-Bewegung brauchen die Demokraten keinen Versöhner, sie brauchen einen Angreifer.
Barack Obama hatte sich aus dem „Museum of the American Revolution“ in Philadelphia gemeldet, die US-Verfassung als Bildhintergrund. Gleich nach seiner Berufung auf das Gründungsdokument nannte Obama die Gründungssünden: die Sklaverei, den Ausschluss der Frauen und der Nicht-Besitzenden. Es war eine Huldigung ohne Verklärung und anschlussfähig an die Black Lives Matter-Proteste. Viele Beobachter wünschten sich an dem Abend die emotionale Qualität und intellektuelle Schärfe dieser Führungsfigur zurück.
Heldenverehrung? Mag sein. Aber wer außer einer Held.innenfigur sollte in der Lage sein, Donald Trump aus dem Amt zu jagen?
Der US-Präsident spitzt mit seiner Energie-, Wirtschafts- und Klimapolitik die globale Klimakrise noch zu. Seine erratische Außenpolitik ist eine Gefahr für die internationale Stabilität, sein Umgang mit Covid 19 eine Gefahr für die US-Bevölkerung. Aus dem Weißen Haus spornt er unkaschiert Rassismus und militante Rechtsextremisten an. Mit welchem Ergebnis?
Stabile 40 Prozent entscheiden sich in den Umfragen für Donald Trump. Diese Woche lagen die durchschnittlichen Umfragewerte bei 42,5 Prozent. Man kann anhand der gleichen Zahlen darauf hinweisen, dass Joe Biden 7,7 Prozent vor Trump liegt. Aber das sind nur allgemeine landesweite Werte. Wenn es nach diesen gegangen wäre, hätte Hilary Clinton 2016 mit mehr als zweieinhalb Millionen Wähler.innenstimmen Vorsprung gegen Trump gewonnen. Doch die US-Wahlen entscheiden sich in den jeweiligen Bundesstaaten. Außerdem hat das eigentliche Kräftemessen noch gar nicht begonnen. Und Trump entfaltet im Wahlkampfmodus eine Temperatur, die nur wenige erreichen.
Biden setzt dem leider nur wenig Entschlossenheit entgegen. Zwar rückte er im Wahlkampf verbal sanft nach links, aber eine klare Linie in der Wirtschafts-, Sozial und Klimapolitik lässt er nicht erkennen. Im Kampf gegen Covid 19 blieb er bisher sehr allgemein. Und: Biden hat es nicht geschafft, für die Black Lives Matter Bewegung eine Hoffnung zu werden.
Das Land brauche Biden als Versöhner, heißt es. Das Land stehe in Flammen und der mäßigende Kandidat entfalte abkühlende Wirkung. „Das ist nicht der Moment von Parteien. Dies muss ein amerikanischer Moment sein“, so krönte Biden denn auch seine Rede. Aber wird es im jetzt beginnenden Wahlkampf tatsächlich darum gehen, Überparteilichkeit zu zeigen, die Gemüter zu beruhigen?
Nein. Im Wahlkampf werden keine Gräben zugeschüttet. Auf den tödlichen Rassismus in den USA heißt die Antwort nicht Geduld und Verständnis. Trumps rücksichtsloser Wut-Kampagne kann man nicht mit dem Neuen Testament begegnen. Die Demokrat.innen müssen mehr als alles andere ihre Wählerinnen und Wähler mobilisieren, sie leidenschaftlich für sich gewinnen.
Hoffentlich wird Kamala Harris Biden an Entschlossenheit und emotionaler Kraft schnell überholen.
21 Aug 2020
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