taz.de -- Kometenhafter Aufstieg: Der Corona-Gewinner

Vor Corona interessierte sich niemand für mich als Autor. Nach Corona bin ich plötzlich der große Star am Literaturhimmel.
Bild: Optimale Corona-Bedingungen: Leere Sitze im Literaturhaus in Stans in der Schweiz

Ich bin wohl einer der wenigen Gewinner der Corona-Pandemie, zusammen mit den Mundschutz-Herstellern. Mein Leben teilt sich in zwei Hälften: Vor-Corona – Nach-Corona! Vor Corona nagte ich am Hungertuch, niemand wollte von mir was wissen. Als Autor war ich so beliebt wie heutzutage Covid-19. Alle großen und kleinen Literaturhäuser machten einen riesigen Bogen um mich, als wäre ich frisch infiziert aus Wuhan angeflogen. Mein Agent bekam nichts als Absagen. Was für ein Agent denn? Das war natürlich ich selber unter einem falschen Namen. Vor-Corona lief das Gespräch mit den Veranstaltern so ab: „Herr Engin, was lesen Sie?“

„Satire.“

„Will kein Mensch hören! Worüber lesen Sie?“

„Über das schwierige Dasein der Migranten in...“

„Das interessiert kein Schwein! Wie viel wollen Sie eigentlich haben?“

„Ich dachte vielleicht so um 100 Euro für eine Stunde. Und Hotel. Und Fahrtkosten.“

„Sie wollen doch hier nicht übernachten. Nach sieben Stunden Fahrt sind Sie wieder zu Hause.“

„Sie haben Recht. Hotelgeld wäre reine Verschwendung.“

„Die Fahrtkosten genauso! Kennen Sie keinen LKW-Fahrer, der nächste Woche nach Augsburg fährt?“

„Gute Idee. Da ließe sich was machen für 100 Euro.“

„Sie kriegen 30 Euro.“

„Wie bitte? 30 Euro für eine Stunde?“

„Sind Sie verrückt? Für zwei Stunden!“

„Abgemacht.“

Jetzt, Nach-Corona, bin ich der große Star am Literaturhimmel. Ich lese jeden Tag in einer anderen Stadt auf einer großen Bühne und diktiere meine Bedingungen.

„Herr Engin, wie viel wollen Sie haben?“

„Also, niemand hat derart schonungslos über Corona geschrieben wie ich. 500 Euro wäre...“

„500 Euro. Kein Problem.“

„500 Euro als Fahrtkosten von Bremen nach Hamburg natürlich. Als Honorar finde ich 800 Euro gerade noch angemessen...“

„Super!“

„Für eine Stunde. Für zwei Stunden muss ich Ihnen 1.600 Euro berechnen. Und eine Suite im Hilton...“

„Klasse!“

Inzwischen führt natürlich mein Agent die Verhandlungen. Er verschickt nur diese eine Mail: „Liebe Veranstalter, Sie brennen drauf, nach vielen Monaten wieder was zu organisieren, können aber weder für die vorgeschriebenen Abstände noch für die Hygienevorschriften sorgen? Mit Osman Engin brauchen Sie das alles nicht! Nach 30-jähriger Erfahrung garantieren wir Ihnen, dass sich kein einziger Zuschauer zu ihm verirren wird! Osman – der einzig wahre Post-Corona-Autor für moderne Lesungen!“

8 Jul 2020

AUTOREN

Osman Engin

TAGS

Literaturbetrieb
Satire
Kolumne Alles getürkt
Erfolg
Abstandsregeln
Kolumne Alles getürkt
Kolumne Alles getürkt
Kolumne Alles getürkt
Lesestück Recherche und Reportage
Kolumne Alles getürkt
Kolumne Alles getürkt
Kolumne Alles getürkt

ARTIKEL ZUM THEMA

Köfte in weiter Ferne: Der Corona-Hunger

Endlich ging ich mal wieder ins Restaurant, um mein Lieblingsessen zu mir zu nehmen. Aber der Kellner wollte mir etwas anderes verkaufen.

Gemeingefährliche Türklinken: Der Corona-Putz

Meine Frau beschloss, den Coronaviren durch eine Putzaktion auf den Leib zu rücken. Doch das ging nach hinten los.

Besondere Zeiten, besondere Maßnahmen: Der Corona-Wachhund

Unser Hausmeister hat wegen Corona eine Hundehütte in den Vorgarten gebaut. Erst habe ich ihn nicht verstanden. Dann schon.

Kulturschaffende in Coronakrise: Durchs Raster gefallen

Die Bundesregierung hat in der Coronakrise viele Hilfsmaßnahmen beschlossen, auch für den Kulturbereich. Aber helfen sie?

Ausschweifung zu viert: Die Corona-Sex-Party

Schockiert höre ich, wie mein Sohn Mehmet sich am Telefon zu einer illegalen Corona-Sex-Party in unserer Wohnung verabredet. Ich rufe die Polizei!

Wie wir fast verreist wären: Endlich Urlaub!

Nach wochenlangen Urlaubsvorbereitungen ist es so weit: Wir sind am Flughafen und der Taxifahrer stellt den Motor ab. Aber nur kurz.

Verhängnisvoller Kaffee nebenan: Corina hat Corona

Meiner Nachbarin ging es wie mir: Ihr dürstete nach menschlicher Kommunikation. Also stattete ich ihr einen Besuch ab.