taz.de -- Rassistische Polizeigewalt in den USA: Endlich wird hingeschaut

Das Verhältnis zwischen Bürger*innen und Staat ist in den USA völlig gestört. Ohne eine Reform der Polizei lässt es sich nicht reparieren.
Bild: Atlanta, Georgia: Hier wurde der Schwarze Rayshard Brooks getötet

Schon wieder [1][ist ein Schwarzer in den USA von der Polizei erschossen worden]. Schon wieder hat Schwarzes Leben nicht gezählt. Der Hergang der Todesschüsse von Atlanta mag nicht so eindeutig sein wie die Ermordung George Floyds in Minneapolis Ende Mai.

Im Gegenteil: Ein Schwarzer, der sich ein Handgemenge mit der Polizei liefert, dabei einen Elektroschocker klaut, davonrennt, den Taser auf einen Polizisten richtet und dann erschossen wird – das wäre noch vor wenigen Wochen nicht einmal eine Nachricht gewesen. Dabei wäre der Skandal genau der gleiche: Man kann ziemlich sicher sein, dass ein Weißer, der betrunken vor einem Schnellrestaurant in seinem Auto einschläft, nicht von der Polizei erschossen worden wäre.

Es wird also endlich genauer hingeschaut, und dafür spricht auch die Reaktion, nicht nur der Medien, sondern auch der Politik. Die Polizeichefin erklärt ihren Rücktritt, Atlantas Bürgermeisterin setzt durch, dass der verantwortliche Polizist sofort entlassen wird. Da scheint begriffen worden zu sein, dass etwas so im Argen liegt im Verhältnis von Schwarzen Bürger*innen und Polizei, dass sofortiges Handeln nötig ist.

Das aber muss wesentlich weiter und tiefer gehen als bislang. Die Ausbildung der Streifenpolizisten in den USA ist ein Skandal, sie muss viel länger und gründlicher werden, bevor die Uniformierten auf die Bevölkerung losgelassen werden. Racial Profiling muss radikal unterbunden werden. Solange Schwarze Mütter ihren männlichen Kindern detaillierte Verhaltensanweisungen mitgeben müssen, damit sie Pubertät und Jugend überstehen, ohne von der Polizei erschossen zu werden, ist etwas grundsätzlich falsch.

Kontrollen können tödliche Folgen haben

Andererseits aber haben auch Polizisten berechtigte Ängste: In einem Land, das von Waffen in Privatbesitz strotzt wie kein anderes, können Standardkontrollen tödliche Folgen haben, auch für die Polizisten. Neben mangelnder Ausbildung ist auch das ein nicht nur vorgeschobener Grund für die Schießwütigkeit.

Und natürlich geht Gewalt nicht nur von der Polizei aus. In den USA und anderswo ist zu erleben, was es mit einer Nachbarschaft macht, wenn die Gewalt die Straße übernimmt. Die Frage ist, welche Rolle die Polizei eigentlich dabei spielen soll, das einzudämmen. Für Law-and-Order-Primitivlinge wie den US-Präsidenten Donald Trump oder Brasiliens Jair Bolsonaro: die wichtigste, und wenn sie das nicht schafft, soll das Militär ran.

Diese Denke führt nirgends hin, außer zu mehr Gewalt und einem völlig gestörten Verhältnis zwischen Bürger*innen und Staat. Die Alternative: ein neues Zusammenspiel von Bürgerschaft und Polizei. Dazu braucht es die Reform unter der Uniform.

14 Jun 2020

LINKS

[1] /Unruhen-in-Atlanta-nach-Polizeischuessen/!5692490

AUTOREN

Bernd Pickert

TAGS

Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
USA
Atlanta
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
HipHop
George Floyd

ARTIKEL ZUM THEMA

Nach Tod von Rayshard Brooks: Polizist wegen Mordes angeklagt

Der Beamte habe beim Einsatz in Atlanta übermäßig Gewalt angewendet, so der Staatsanwalt. Darauf steht lebenslange Haft – oder gar die Todesstrafe.

Trumps Dekret gegen Polizeigewalt: Alles nur Einzelfälle

US-Präsident Donald Trump unterzeichnet ein Dekret zur Minderung von Polizeigewalt. Hinter den Forderungen der Proteste bleibt es weit zurück.

Capitol Hill Autonomous Zone: Seattles neue Selbstsicherheit

Aktivist:innen besetzen einen Stadtteil Seattles, um gegen Rassismus und soziale Spaltung zu protestieren. Indes reagiert Trump mit Drohgebärden.

Unruhen in Atlanta nach Polizeischüssen: Tödliche Schüsse in Atlanta

Neue Unruhen in den USA: Nach Schüssen auf den Schwarzen Rayshard Brooks wird der beteiligte Polizist gefeuert. Atlantas Polizeichefin tritt zurück.

Neues Album des HipHop-Duos Run the Jewels: Eine Erinnerung an die Ignoranz

Auch Eric Garner wurde Opfer von Polizeigewalt und sagte „I can’t breathe“. Aktueller könnte die Zeile auf dem Album „RTJ 4“ vom Duo Run the Jewels nicht sein.

++ Nach dem Mord an George Floyd ++: Würgegriff verboten

In den USA werden Polizeireformen beschlossen. Ein Reddit-Verwaltungsrat fordert eine Schwarze Nachfolgerin. Justin Trudeau kniet im Protest gegen Rassismus nieder.