taz.de -- Eskalierte Polizeiarbeit in Hamburg: Frommes Wort, beunruhigende Tat

Vom Augenmaß bei polizeilichem Vorgehen ist gerade viel die Rede. Und dann kommen doch wieder nur Pfefferspray und Wasserwerfer.
Bild: Autsch! Eine Frau mit Pfefferspray in der Hand

Es ist viel bemüht worden in den vergangenen Wochen: [1][Ausdrücklich mit Augenmaß] wollte Hamburgs Polizei am ersten Vatertag unter den Bedingungen der Pandemie darüber wachen, ob all die Regeln zur [2][Coronabekämpfung] denn auch eingehalten würden. Ungefähr drei Wochen früher war eine dieser Regeln verschärft worden, nämlich eine Pflicht zur Mund-Nasen-Maskierung eingeführt und in Kraft gesetzt. Und auch da [3][führte die Polizei-Pressesprecherin], noch recht frisch im Amt, es im Munde: Mit Augenmaß also würden die Kolleg*innen den Leuten ins (hoffentlich teilverkleidete) Gesicht sehen.

Polizeiarbeit also grundsätzlich mit Augenmaß? Eher schwer zu überzeugen wäre von der Wahrheit dieses Anspruchs wohl jene Altonaer Abendgesellschaft, die sich jetzt unvermittelt mit Pfefferspray und allerlei Straftatbeständen konfrontiert sah, wohlgemerkt: in der eigenen, [4][laut dem Grundgesetz] besonders geschützten Wohnung.

Zweifel an der Verhältnismäßigkeit polizeilichen Handelns dürften auch [5][die Demonstrierenden] äußern, die am Samstag in der Hamburger Innenstadt [6][mit dem Wasserwerfer abgeräumt] wurden. Ach ja: Ausgerechnet als „verhältnismäßiger“ hat die Polizei [7][selbst das per Tweet bezeichnet] – „verhältnismäßiger als unmittelbarer körperlicher Zwang“.

Am Samstag, aufgereiht zwischen mehreren Hundert sogenannter Hygiene-Demonstrant*innen auf der einen Seite und der Spottgesänge zum Besten gebenden Antifa auf der anderen: Da kann so eine Polizei schon mal den Überblick verlieren. Dass sie dann umso fester festhält an ihrer Version der Geschehnisse: nachvollziehbar, wenn auch deshalb noch lange nicht richtig.

Aber noch mal zu den alten Leuten von Altona. Welche Bedrohung können unbewaffnete Menschen im Rentenalter darstellen – nicht für irgendwen, sondern für [8][sechs Beamte in Dienstmontur plus Hund]? Dass am Ende die Geschichte aus sechs Mündern – wenn man’s könnte, ließe man sicher auch den Hund aussagen – mehr Aussicht darauf hat, geglaubt zu werden, als die der vier Betroffenen: eine beunruhigende Aussicht.

28 May 2020

LINKS

[1] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Vatertag-und-Corona-Entspannte-Lage,vatertag408.html
[2] /!t5660746/
[3] https://hamburg1.de/nachrichten/44667/Ueberwiegender_Teil_der_Hamburger_traegt_Maske.html
[4] https://www.buzer.de/gesetz/5041/a69818.htm
[5] /Archiv-Suche/!5687627/
[6] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/6337/4604260
[7] https://twitter.com/PolizeiHamburg/status/1264192076184510464
[8] /!t5008089/

AUTOREN

Alexander Diehl

TAGS

Polizei
Demonstration
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Verschwörungsmythen und Corona
Grundrechte
Hamburg
Hitlergruß
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Fußball
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg

ARTIKEL ZUM THEMA

Prozess in Rosenheim am Mittwoch: Der Polizist mit dem Hitlergruß

Zwei Beamte sind angeklagt wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – und vom Dienst suspendiert worden.

Rot-grüner Koalitionsvertrag in Hamburg: Geschenke unter Vorbehalt

Nach sechs Wochen Verhandlungen haben sich SPD und Grüne in Hamburg auf die Grundlagen ihrer Koalition geeinigt. Im Fokus: Klima- und Verkehrswende.

Polizeigewalt gegen Senior*innen: Unerwünschter Hausbesuch

Ein Notruf alarmiert die Hamburger Polizei – ein Einbrecher, so der Verdacht. Es folgt ein brutaler Übergriff auf über 60- und 70-jährige Senior*innen.

Polizeigewalt gegen Fans im Fußball: Ein Schlag ins Gesicht

Ein Fan vom Fußballverein Babelsberg 03 wird beim Pokalspiel von Polizisten verletzt. Videos zeigen die Gewalt, die Beamten sehen sie als angemessen.

Hamburger Polizisten attackieren Pfleger: Vom Fahrrad gerissen

Ein Mann mit ghanaischen Wurzeln wird für einen Dealer gehalten und rabiat festgenommen. Der Polizei wird in sozialen Medien Rassismus vorgeworfen.