taz.de -- Content-Produzent*innen übers Mitreden: „Wissen alle, was das bedeutet?“

Politische Begriffe werden oft rausgehauen, aber nicht erklärt. „Heteronorm“? „Intersektional“? Die Macher*innen von „Erklär mir mal“ wollen helfen.
Bild: „Erklärmirmal“ ist Anfang Mai auf Instagram gestartet

taz: Maja Bogojević, Mehran Karimi, Sie erläutern auf dem Instagram-Kanal „Erklär mir mal“ politische Begriffe aus (post)migrantischer und queerer Perspektive. Das Projekt ist Anfang des Monats gestartet. Worum geht es dabei?

Maja Bogojević: Wir beobachten, dass in wichtigen politischen Debatten häufig Begriffe vorausgesetzt werden, die nicht alle kennen – die aber nötig sind für die politische Teilhabe. Viele von uns kommen zum Beispiel aus Arbeiter*innenfamilien und kennen das Gefühl, wenn Leute ständig Namen nennen und Fachvokabular benutzen und man denkt: Hä, müsste ich das jetzt wissen? Wir wollen, dass alle mitreden können, auch außerhalb akademischer Räume.

Mehran Karimi: Wir wollen eine Grundlage schaffen, mit der Menschen sich besser verständigen können – und sich auch selber vielleicht besser verstehen.

Wie machen Sie das?

Bogojević: Wir haben abwechselnde Themenwochen: Queer und Feminismus, Antirassismus, Politik und Gesellschaft, außerdem einen flexiblen Open Space. Einmal die Woche erläutert ein Video Begriffe oder ein Thema. Und es gibt Zitate, [1][Sharepics], Memes. Wir stellen dabei postmigrantische und queere Menschen und ihre Belange in den Vordergrund. Es geht um Dinge wie: Wissen alle, was [2][Heteronormativität] und [3][Diaspora] bedeutet? Wann kamen Gastarbeiter*innen nach Deutschland? Oder den deutschen Kolonialismus. Themen, die in Schulbüchern häufig gar nicht vorkommen.

Karimi: Die erste Folge ging um [4][Intersektionalität], wir haben den Begriff und seine Geschichte erklärt.

Bogojević: Uns ist wichtig, zu erklären, woher die Begriffe kommen, aus welchen Kämpfen sie entwickelt wurden. Intersektionalität wurde zum Beispiel von einer Schwarzen Frau formuliert: Kimberlé Crenshaw.

Insgesamt stehen 14 Menschen hinter „Erklär mir mal“. Was zeichnet das Team aus?

Karimi: Wir sind eine Gruppe von Leuten, die queere und migrantische Perspektiven teilen. Wir versammeln viele Stimmen, wir wollen weg vom Personenkult. Bei uns gibt es Journalist*innen, aber auch Lehrer*innen und Ärzt*innen. Uns ist es dabei wichtig, zu zeigen, dass es noch ganz viele andere ungehörte Stimmen und Perspektiven gibt.

Bogojević: Es gibt deswegen zwei Personen im Team, die am Ende nochmal über die Projekte schauen und sich überlegen: Sind Perspektiven nicht mitgedacht? Ist etwas problematisch? Stellen wir etwas verkürzt dar?

Wieso werden queere und migrantische Perspektiven so häufig übergangen?

Bogojević: Sichtbarkeit hat viel mit Macht zu tun. Da ist eine Frage: Wer hat Zugang zu medialer Repräsentation? Personen wie wir werden häufig zu sogenannten [5][Tokens]: Die queere, Schwarze Person kommt vor die Kamera, während im Hintergrund Leute sind, die von struktureller Diskriminierung profitieren. Auch deswegen organisieren wir uns lieber selbst. Wir sind keine Diversitätsmaskottchen. Unsere Themen sind nicht nur cool, sie sind notwendig.

Vergangenes Jahr wurden [6][ähnliche öffentlich-rechtliche Formate wie Softie eingestellt], nun Karakaya Talk. Sie arbeiten bisher sogar ehrenamtlich. Entmutigt Sie das alles?

Karimi: Wir finden das traurig. Schließlich haben diese Formate den Weg, den wir heute gehen, geebnet. Wir haben zwar durch unsere eigenständige Organisation viel mehr Arbeit, Maja arbeitet bis zu 40 Stunden die Woche für [7][„Erklär mir mal“]. Aber so kann keine Produktionsfirma kommen und plötzlich sagen: Schluss, das war’s.

Bogojević: Als ich erfahren habe, dass Softie abgesetzt wird, war mein erster Gedanke: Wie kann es sein, dass schon wieder ein empowerndes, kritisches Format eingestampft wird? Uns wurde dadurch klarer, wie sehr es „Erklär mir mal“ braucht.

Gleichzeitig gibt es ja Journalistinnen wie Ferda Ataman, Margarete Stokowski, Samira El Ouassil oder Mai Thi Nguyen-Kim, die präsent sind und den politischen Diskurs mitprägen. Geht es auch vorwärts?

Bogojević: Es sind jetzt zwar mehr Menschen sichtbar, aber wir können uns doch nicht mit vor 50 Jahren vergleichen. Ein Viertel der Menschen heute in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, im Journalismus sieht man das aber nicht. Und das ist ein Problem.

Karimi: Man sieht vielleicht, dass LGBTQI-Themen präsenter geworden sind. Aber diese Themen werden oft eher abgefertigt, Boxen werden abgetickt, um sie abzuticken. Man sollte diese Themen nicht nur anreißen, sondern sie vertiefen.

24 May 2020

LINKS

[1] /Neuer-Podcast-Filterbabbel/!5583342
[2] /Schwerpunkt-LGBT-Community/!t5025674/
[3] /Chinesische-Diaspora/!5619792
[4] /30-Jahre-Intersektionalitaet/!5591480
[5] /Debatte-um-Sexismus-bei-Hart-aber-fair/!5482846
[6] /Softie-JaegerSammler-und-Co/!5659577
[7] https://www.instagram.com/erklaermirmal/

AUTOREN

Simon Sales Prado

TAGS

Schwerpunkt Rassismus
IG
Social Media
Instagram
Schwerpunkt LGBTQIA
IG
Diversität
Instagram
Feminismus
Diversity
Schwerpunkt Rassismus

ARTIKEL ZUM THEMA

Chemikerin über Wissenschaftsvermittlung: „Mama ist mein größter Fan“

Mai Thi Nguyen-Kim erklärt naturwissenschaftliche Themen für Laien in kurzen Videos. Bald beginnt eine neue Staffel ihrer Show.

Influencer*innen über Talkshows: „Zeigen, wer im Fernsehen fehlt“

Deutsche Talkshows sind selten jung und divers. Aminata Belli und Tarik Tesfu erzählen, was sie in ihrer neuen Sendung besser machen.

Instagram-Trend #ChallengeAccepted: Nur ein Selfie

Millionen Frauen posten ein Schwarz-Weiß-Foto von sich. Damit wollen sie sich gegenseitig empowern. Doch was kann ein Selfie schon ausrichten?

„Softie“, „Jäger&Sammler“ und Co: Da funkt was nicht

Bei funk, dem Jugendangebot der Öffentlich-Rechtlichen, werden Formate teils schnell abgesetzt. Das liegt auch an fragwürdigen Relevanzkriterien.

Neues Talkshowformat bei „funk“: Gesittet und divers

In „Karakaya Talk“ wird künftig wöchentlich über Pop und Politik diskutiert. Es sollen Menschen zu Wort kommen, die sonst nicht gehört werden.

30 Jahre Intersektionalität: Dem Ungetüm begegnen

Kimberlé Crenshaw hat den Begriff Intersektionalität für überlappende Diskriminierungen eingeführt. Im Alltag angekommen ist er noch nicht.