taz.de -- Pressefreiheit in Brasilien in Gefahr: Bolsonaro hetzt gegen Medien
Brasiliens rechtsradikaler Präsident ruft zum Boykott gegen Medienhäuser auf. Angriffe seiner Anhänger auf Journalist*innen häufen sich.
São Paulo taz | Tobend und mit der Titelseite der Tageszeitung Folha de São Paulo fuchtelnd, trat Jair Bolsonaro am Dienstagmorgen in Brasília vor den Präsidentenpalast. Dort hatten sich wie jeden Morgen Unterstützer*innen und Pressevertreter*innen versammelt. Brasiliens Präsident nahm kein Blatt vor den Mund und beschimpfte die renommierte Zeitung als „Abschaum“ und „Schurken“. Auslöser für den Wutausbruch: Die Folha de São Paulo hatte berichtet, dass Bolsonaro aus politischen Gründen [1][Einfluss auf die Bundespolizei genommen] haben soll.
Als Reporter*innen Nachfragen stellten, brüllte Bolsonaro: „Halt den Mund.“ Die cholerische Reaktion des Ex-Militärs zeigt, dass ihn die Vorwürfe zunehmend unter Druck setzen. Sie steht aber auch sinnbildlich für das Verhältnis von Bolsonaro zu den Medien.
Immer wieder hetzt der rechtsradikale Präsident gegen die traditionellen Medien. [2][Ähnlich wie US-Präsident Donald Trump] kommuniziert Bolsonaro fast ausschließlich über die sozialen Medien, wo er Millionen Follower und eine riesige Reichweite hat. Insbesondere auf die liberale Tageszeitung Folha de São Paulo, das größte Blatt Brasiliens, hat er es abgesehen. So ließ Bolsonaro alle Abos seiner Regierung kündigen, machte Stimmung gegen einzelne Journalist*innen und bezeichnete die Zeitung als „größte Fake News Brasiliens“.
Journalistenvereinigungen und Politiker*innen fast aller Lager kritisierten die verbalen Attacken vom Dienstag scharf. In sozialen Medien trendete der Hashtag [3][#EuNãoMeCalo] (Ich halte nicht den Mund). „Die Reaktion zeigt, dass Bolsonaro uns zum Schweigen bringen will und er keine Argumente hat“, sagte der Journalist Lucas Rohan der taz. „Der Journalismus ist eine Gefahr für ihn, da er mit Fakten arbeitet und Bolsonaros Lügen aufdeckt.“
Auch der konservative Medienkonzern Globo im Fokus
Neben der Folha de São Paulo steht ein weiteres Medium im Fokus der Regierung: das mächtige Globo-Netzwerk. Eigentlich ist das Medienimperium streng konservativ, aber schon seit dem Wahlkampf geht Globo auf Distanz zu Bolsonaro. In der aktuellen Coronakrise berichtet der Sender kritisch über den Kurs des Präsidenten. Dieser spielt das Virus weiter hartnäckig herunter und fordert eine Rückkehr zur Normalität.
Nicht nur der Präsident teilt regelmäßig gegen die Presse heftig aus. Ein großer Teil der Regierung behandelt Journalist*innen wie Feinde. Mal rufen Minister*innen zum Boykott kritischer Medien auf, mal werden unliebsame Reporter*innen von Pressekonferenzen ausgeladen.
In sozialen Medien schlägt Reporter*innen der blanke Hass entgegen – und es bleibt nicht bei verbalen Attacken. Seit Amtsantritt der Regierung hat die Gewalt gegen Journalist*innen stark zugenommen, wie [4][Daten der Brasilianischen Assoziation des Investigativen Journalismus (ABRAJI)] zeigen.
Am vergangenen Sonntag, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, wurden zwei Fotografen während eines Protests von Bolsonaro-Anhängern angegriffen. Rechtsradikale Gruppen hatte sich in der Hauptstadt Brasília versammelt, um gegen die Isolationsmaßnahmen zu protestieren. Bolsonaro war der umjubelte Stargast bei dem Protest, bei dem auch erneut für eine Militärintervention demonstriert wurde.
„Bolsonaros Worte sind Treibstoff für solche Taten“
Nach heftiger Kritik an den Angriffen erklärte Bolsonaro später, dass sich es sich bei den Angreifern um Einzeltäter gehandelt habe und sich diese in den Protest eingeschleust hätten. Videos zeigen jedoch, dass mehrere Personen an der Attacke beteiligt waren und sie von einem Mob angefeuert wurden.
„Die Worte von Bolsonaro sind der Treibstoff für solche Gewalttaten“, meint der Journalist Rohan. „Journalisten sind derzeit der Staatsfeind Nummer 1 in Brasilien – und Bolsonaros Hetze hat ganz reale Auswirkungen.“
Der 33-Jährige weiß, wovon er spricht. Vor einigen Monaten verließ er seine Heimat in Richtung Portugal, unter anderem, weil er in sozialen Medien bedroht wurde und sich als Journalist in Brasilien nicht mehr sicher fühlte.
6 May 2020
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