taz.de -- Neue Rad-Infrastruktur gegen Corona: Mit Abstand am gesündesten

Friedrichshain-Kreuzberg will vor Ostern noch drei neue Radspuren anlegen. Verkehrs-AktivistInnen fordern weitergehende Maßnahmen.
Bild: Ziemlich ansteckungssicher: Radfahren auf dem Tempelhofer Feld

Es gibt bald neue „Pop-up-Radwege“ in Friedrichshain-Kreuzberg: Wie der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts (SGA), Felix Weisbrich, der taz bestätigte, sollen drei weitere temporäre Radstreifen auf wichtigen Verkehrsachsen markiert werden. Dabei handelt es sich um die Petersburger und die Lichtenberger Straße in Friedrichshain sowie den Abschnitt der Gitschiner Straße in Kreuzberg, auf dem noch kein Radstreifen existiert.

„Nach Möglichkeit soll das noch vor Ostern geschehen“, so Weisbrich, „und ich bin optimistisch, denn die Zusammenarbeit mit der Abteilung Verkehrsmanagement funktioniert sehr gut.“ Die Abteilung unter ihrem Leiter Christian Haegele ist die Nachfolgerin der zu Jahresbeginn in die Senatsverkehrsverwaltung integrierten Verkehrslenkung Berlin – lange Jahre eine eigenständige Behörde, die eher für Bürokratie und Verschleppung von Projekten stand als für Tempo und Effizienz.

Vorletzte Woche entstanden in Kreuzberg die ersten beiden Anlagen der „pandemieresilienten Infrastruktur“, wie sie jetzt ganz offiziell heißt. Quasi über Nacht, mit gelben Streifen und Warnbaken, wurden ein Radstreifen auf dem Halleschen Ufer neu geschaffen und der bestehende Streifen am nördlichen Ende der Zossener Straße deutlich verbreitert.

In einer Pressemitteilung des Bezirksamts vom Freitag heißt es, dieses Pilotvorhaben sei nunmehr „positiv abgeschlossen“. Die Abstandsregeln im Rahmen der Corona-Eindämmungsverordnung ließen sich durch die neue Infrastruktur besser einhalten, die Sicherheit sei gewährleistet, und durch das aktuell geringere Kfz-Aufkommen ergäben sich für AutofahrerInnen auch keine negativen Folgen.

Laut Weisbrich könnten die in Windeseile angeordneten und umgesetzten Provisorien über die Pandemie hinaus Bestand haben. Dazu müssten ihre verkehrlichen Auswirkungen allerdings noch einmal geprüft werden, wenn die Verkehrsdichte wieder zunehme. Von CDU und FDP waren vereinzelt Stimmen zu hören, die Bezirksamt und Senatsverwaltung vorwarfen, die Coronakrise für die Verkehrswende zu instrumentalisieren.

Von den Mobilitäts- und Radverkehrs-AktivistInnen, die unter normalen Umständen wohl die Prekarität der temporären Lösungen kritisieren würden, kommt dagegen keine Kritik. Im Gegenteil: Der Verein Changing Cities hat eine Petition initiiert, die „schnelle Maßnahmen zu ansteckungsfreier Mobilität“ fordert und dabei den Friedrichshain-Kreuzberger Vorstoß aufgreift. Am Sonntagabend hatte sie [1][bereits mehr als 1.000 UnterzeichnerInnen].

„Wir brauchen für die Einhaltung der Abstandsregeln und für den Erhalt unserer Gesundheit genügend Platz für Bewegung im öffentlichen Raum“, erläutert Ragnhild Sørensen, Sprecherin von Changing Cities, die Petition mit dem Titel #FaireStraßen. Gefordert werden darin neben provisorischen Radspuren auch autofreie Nebenstraßen, die ausschließlich für Fuß- und Radverkehr genutzt werden dürfen. Außerdem sollten die Unfallzahlen durch eine generelle Ausweisung von Tempo 30 in der Stadt gesenkt werden. Das entlaste die Krankenhäuser.

Auch die Landesarbeitsgmeienschaft (LAG) Mobilität der Grünen – die immer wieder gegenüber der eigenen Fraktion und der Verkehrsverwaltung auf mehr Tempo bei der Verkehrswende drängt – hat in einem Thesenpapier Sofortmaßnahmen vorgeschlagen.

Darin heißt es unter anderem, um das Radfahren als gesunde und ansteckungssichere Fortbewegungsart zu unterstützen, solle „an den meisten mehrspurigen Hauptstraßen mit einfachen Mitteln und praktisch sofort“ eine Fahrspur zum Radstreifen umfunktioniert werden. Die Verlagerung des Radverkehrs auf die Fahrbahn, dort, wo er bislang noch auf dem Gehweg geführt werde, schaffe wiederum mehr Raum für die FußgängerInnen.

Dazu fordert die LAG Sofortmaßnahmen im öffentlichen Nahverkehr, dessen „Attraktivität in der Coronakrise gelitten“ habe, wie die SprecherInnen Karin Hieronimus und Matthias Dittmer schreiben. Eine regelmäßige Desinfektion der „kritischen Stellen“ in Bussen und Bahnen sei an jedem Endhalt vorzunehmen, außerdem müsse der Fahrplan „mindestens auf das reguläre Niveau von vor der Krise“ gebracht werden, damit alle mit ausreichendem Abstand unterwegs sein könnten. Das könne der Pandemie entgegenwirken.

Bessere Luft, weniger Viren

Auch die grüne Arbeitsgemeinschaft will eine stadtweite Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h, jedenfalls bis zum Ende der Pandemie: Das entlaste die Krankenhäuser nicht nur, weil es weniger Unfälle gebe, sondern weil die bei geringerem Tempo auch weniger schwer ausfielen. Zudem würde die Luft dadurch noch einmal deutlich besser.

Das, so Hieronimus und Dittmer, könne der Pandemie entgegenwirken, denn die Luftqualität spiele wahrscheinlich bei der Ausbreitung der Viren eine „nicht unerhebliche Rolle“. Italienische Forscher hätten eine Korrelation zwischen der hohen Feinstaubbelastung in Norditalien und den dortigen hohen Todesraten festgestellt. Abgesehen von der grundsätzlichen Belastung der Gesundheit durch Feinstaub könne dieser auch als Substrat des Virus in der Luft fungieren. Ob das für Neuinfektionen ausreiche, sei allerdings noch nicht geklärt.

6 Apr 2020

LINKS

[1] http://changing-cities.org/fairestrassen

AUTOREN

Claudius Prößer

TAGS

Mobilitätswende
Schwerpunkt Coronavirus
Radverkehr
Friedrichshain-Kreuzberg
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Fahrrad
Radverkehr

ARTIKEL ZUM THEMA

Gastronomie in Berlin: Ausschank auf dem Parkplatz

In Zeiten von Corona dürfen Wirte und Ladeninhaber in Friedrichshain-Kreuzberg bald ihre Tische auf öffentliches Straßenland stellen.

Kritik an temporären Radstreifen: Autolobby neben der Spur

ADAC und Unternehmensverbände schießen gegen die Pop-up-Bikelanes. Das Mobilitätsgesetz kennen sie offenbar nur vom Hörensagen.

Neue temproräre Infrastruktur in Berlin: Radspuren mit Corona-Antrieb

Jetzt bekommt auch die Kantstraße eine Pop-up-Bikelane. Friedrichshain-Kreuzberg hat die Nase vorn, Pankow und Tempelhof-Schöneberg ziehen nach.

Temporäre Radinfrastruktur: Kritische RadlerInnen

Die neuen temporären Radspuren ernten bei manchen AktivistInnen in den sozialen Medien Kritik. Andere wollen mehr davon und rufen zum Protest auf.

Corona und Wochenende in Berlin: Alle auf Abstand

Ob es jetzt an der neuen Bußgeldverordnung lag oder nicht: Am Wochenende hatte die Polizei Corona-bedingt wenig zu tun. Krass artig, die Berliner!

Fahrradpolitik in Berlin: Coronafrei durch Kreuzberg

Der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat neue Radspuren markiert, um das Corona-Risiko zu minimieren – eine Idee des Straßenbaudirektors.

Radverkehr und Ampeln: Exklusives Grün für Radfahrende

Die Ampelanlage an der „Todeskreuzung“ in Reinickendorf ist endlich umprogrammiert. Die Corona-Krise macht den Rad-Verbänden zu schaffen.