taz.de -- Einschränkungen wegen Coronavirus: Friseur ja, Kirche nein

Die Bundesregierung hat massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens verkündet. Manche Länder fallen dabei ein bisschen aus der Rolle.
Bild: Ausnahmezustand in Köln: Ein Teil des Doms ist abgesperrt

Berlin taz | Armin Laschet wählte dramatische Worte. „Es geht um Leben und Tod, so einfach ist das und auch so schlimm“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident bei seinem Pressebriefing am Dienstag in der Düsseldorfer Staatskanzlei. Im Kampf gegen die [1][Corona-Pandemie] gelten nicht nur in dem am heftigsten betroffenen Bundesland, sondern gravierende Einschränkungen des öffentlichen Lebens auch bundesweit.

Noch am Samstagmittag hatte das Bundesgesundheitsministerium vehement dementiert, „die Bundesregierung würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen“. Das Spahn-Ministerium bezeichnete das als [2][„Fake News“]. Doch die Dynamik der Ausbreitung des Coronavirus hat das Dementi schnell überholt. Am Montagabend stellte Kanzlerin Angela Merkel einen mit den Regierungschefs der Länder abgestimmten Maßnahmenkatalog vor, der noch deutlich über die bisherigen Reglementierungen und Verbote hinausgeht.

Erstmalig gibt es nun ein bundeseinheitliches Vorgehen. Danach sind jetzt bundesweit Bars, Clubs, Diskos, Kneipen, Biergärten, Theater, Opern- und Konzerthäuser, Messen, Ausstellungen, Kinos, Freizeit- und Tierparks, Spezialmärkte, Spielhallen und -banken und ähnliche Einrichtungen für den Publikumsverkehr geschlossen. Das gilt auch für „Prostitutionsstätten“.

Ebenso untersagt ist der Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern sowie Fitnessstudios. Nach den bereits zuvor verkündeten Schul- und Kitaschließungen dürfen jetzt auch Volkshoch-, Musik- und Tanzschulen sowie sonstige öffentliche und private Bildungseinrichtungen im außerschulischen Bereich nicht mehr besucht werden.

Gottesdienste verboten

Gleichfalls verboten sind Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen und Synagogen – ein einmaliger Einschnitt in das religiöse Leben in Deutschland, den der gläubige Katholik Laschet am Dienstag etwas zu kaschieren suchte. So sprach er davon, es gäbe in NRW „kein Verbot“, sondern vielmehr eine „Selbstregelung“ der Religionsgemeinschaften, die sich zu einem freiwilligigen Verzicht verpflichtet hätten. Auf Nachfrage räumte Laschet allerdings ein, dass es mit der vermeintlichen Freiwilligkeit nicht ganz so weit her ist: „Alle Zusammenkünfte sind untersagt, prinzipiell, und sie sollen auch in Gotteshäusern unterbleiben.“

Auch mit einer anderen Regelung tut sich NRW schwer: der Schließung der Spielplätze. Noch am Dienstagvormittag hatte Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im Deutschlandfunk kategorisch verkündet: „Wir werden in Nordrhein-Westfalen die Spielplätze nicht schließen.“

Er glaube, „dass Eltern schon dafür sorgen können, dass ein Kind mal eine Stunde auf dem Spielplatz ist, ohne dass die Sozialkontakte so sind, dass wir uns da große Sorgen machen“. Doch nur wenige Stunden später hatte die Landesregierung diesen Glauben verloren – der Druck, sich an die mit den anderen Ländern und der Bundesregierung getroffene Vereinbarung zu halten, war offenkundig zu groß.

In Berlin sollen die Spielplätze hingegen tatsächlich erst mal geöffnet bleiben. Das verkündete Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Dienstag in der Bundeshauptstadt. Sie rate Eltern aber, auch beim Spielen auf die Abstandsregeln zu achten. Die Berliner Tierparks sollen ebenfalls nicht geschlossen werden. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass der Berliner Senat lange dabei bleiben wird.

Was geöffnet bleibt

Für die kommenden Wochen werden die Bürgerinnen und Bürger stark ihr Einkaufsverhalten ändern müssen. „Ab morgen werden die Geschäfte heruntergefahren“, kündigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Dienstag in München an. Bundesweit untersagt wird die Öffnung von Ladengeschäften jeder Art.

Es gibt jedoch etliche Ausnahmen. Ausdrücklich nicht geschlossen werden der Einzelhandel für Lebensmittel, Wochenmärkte, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen, Poststellen, Reinigungen, Waschsalons, der Zeitungsverkauf, Bau-, Garten- und Tierbedarfsmärkte und der Großhandel. Ebenfalls ausgenommen sind Friseursalons – warum auch immer.

Für die genannten Bereiche solle „überlegt werden, ob wir die Sonntagsverkaufsverbote bis auf Weiteres grundsätzlich aussetzen“, regte Kanzlerin Merkel am Montag an. Inzwischen haben tatsächlich mehrere Länder das Sonntagsverkaufverbot für die Läden, die offen bleiben dürfen, ausgesetzt.

Auch einen eingeschränkten Restaurantbetrieb soll es weiter geben. Laut den gemeinsamen Leitlinien von Bund und Ländern dürfen sie noch zwischen 6 und 18 Uhr geöffnet sein. Speiselokale in Bayern und NRW müssen allerdings schon um 15 Uhr schließen. Starke Beschränkungen gelten für Hotels und alle sonstigen kommerziellen Übernachtungsangebote. Sie sollen nur noch „zu notwendigen und ausdrücklich nicht zu touristischen Zwecken genutzt werden können“. Auch Busreisen werden ausgesetzt.

Gelten sollen die Regelungen zunächst bis einschließlich 19. April. Ob es dabei bleibt, ist mehr als ungewiss. Sowohl Söder als auch Laschet machten deutlich, dass auch Ausgehsperren, wie in Frankreich, Spanien oder Italien, nicht vom Tisch sind. Er hoffe, dass es dazu nicht komme, so Laschet: „Das liegt in der Hand jedes Einzelnen, wie weit unser Land in der Lage ist, selbst herunterzufahren und jeden öffentlichen Kontakt zu vermeiden.“

17 Mar 2020

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AUTOREN

Pascal Beucker

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