taz.de -- Kartenspiel über Stasi-Erstürmung: Der größte Aktenvernichter gewinnt

In Zusammenarbeit mit dem DDR-Museum und dem Stasi-Unterlagen-Archiv entstand aus einer historischen Broschüre ein Kartenspiel.​ Taugt das?
Bild: Schreddern, aber richtig: das Kartenspiel zur Stasi-Erstürmung

Berlin taz | Akten vernichten, Bürger ablenken, Unordnung stiften oder hinhaltende Gespräche führen – das wird im Kartenspiel „Stasi raus, es ist aus!“ zur Realität. Am 15. Januar jährt sich die [1][Eroberung der Stasi-Zentrale] zum 30. Mal und das kann nachgespielt werden.

Wer schon immer einmal wissen wollte, wie es ist, in einen Modus aus Manipulation und totaler Kontrolle zu kommen, kann im Spiel für etwa 20 Minuten zum Stasi-Mitarbeiter mutieren. Dafür muss man sich nicht in verstaubte Uniformen puppen oder seine Nachbarn abhören, sondern so tun, als würde man Dokumente aller Art vernichten, um sich so vor der kritischen Masse der Bürgerbewegung zu schützen.

Was makaber klingt, ist für die Entwickler Michael Geithner und Martin Thiele-Schwez eine bewusste Entscheidung gewesen. Ihre Firma Playing History erfindet Spiele auf Basis historischer Ereignisse. In Zusammenarbeit mit DDR-Museum und Stasi-Unterlagen-Archiv entstand aus einer historischen Broschüre das Kartenspiel.

Zum 30. Jubiläum der Eroberung der Stasi-Zentrale in Lichtenberg wird es ab nächste Woche, Mittwoch im Shop des DDR-Museums verkauft. Aus der Perspektive des Bösewichts zu spielen sei spannender, sagen die Spielemacher: Was haben die Täter getan und warum? Was wurde am Ende vernichtet? „Nur weil ich etwas spiele, heißt es nicht, dass ich alles lustig und gut finde“, so Geithner bei der Vorstellung am Donnerstag.

Durch die ungewohnte Rolle würden sich die SpielerInnen kritischer mit dem Thema auseinandersetzen, hofft er. Besonders SchülerInnen sollen so den Anreiz haben, zum Begleitheft zu greifen, in dem das DDR-Museum die historischen Hintergründe erklärt. „In der Broschüre würden sie vermutlich sonst nicht schmökern“, ergänzt Thiele-Schwez.

Alle Mitspieler sind bei der Stasi

Der Witz an dem Spiel: Alle Mitspieler sind bei der Stasi, deren GegnerInnen existieren nur als Spielkarten. Zieht man eine „kritische Karte“ wie Pfarrer, Jugendliche oder JournalistenInnen, gibt es einen Minuspunkt, das Bürgerkomitee oder die Friedens-und Menschenrechtsbewegung kosten Spielkarma.

Wenn fünf Gegner auf dem Tisch liegen, ist das Spiel für alle vorbei. Wer am Ende trotzdem die meisten Akten verbrannt oder geschreddert hat und die wenigsten Minuspunkte durch Gegner sammelt, gewinnt das Spiel – als Stasi-Mitarbeiter der letzten Stunde sozusagen.

Die Zielgruppe des Spiels darf die Stasi-Schlacht in Kartenform am Donnerstag direkt live testen. Etwa 15 SchülerInnen legen los. „Man will gewinnen, also clever seine Mitspieler abschalten und Gegner ablenken“, sagt die 17-jährige Anna-Maria. Außerdem rege das Spiel zum Nachdenken an. „Schon krass, was dort alles vernichtet wurde“, raunt ein anderer Spieler. Vor ihm liegen zwei Karten: ein Honecker-Porträt und Abhörprotokolle. Ein Dritter hat die einzige Nullerkarte im Spiel gezogen: eine Bananenschale.

10 Jan 2020

LINKS

[1] /25-Jahre-Stasi-Unterlagen-Gesetz/!5361139

AUTOREN

Laura Binder

TAGS

Stasi-Unterlagen
DDR
Weltgeschichte
Unterhaltung
Stasiunterlagenbehörde
Berliner Zeitung
Hubertus Knabe
Geheimdienst

ARTIKEL ZUM THEMA

Aufarbeitung von Stasi-Unterlagen: Puzzeln für die Geschichte

Vor dreißig Jahren wurde die Stasi-Zentrale in Berlin gestürmt. Die zuvor geschredderten Akten werden noch immer rekonstruiert. Stück für Stück.

Aufarbeitung im Berliner Verlag: Nochmal von vorn

Michael Maier ging einst hart gegen Stasi-Mitarbeiter in der „Berliner Zeitung“ vor. Wie sieht er die IM-Vergangenheit von Holger Friedrich?

Hubertus-Knabe-Rauswurf: Birthler soll den Knast aufräumen

Frühere Stasi-Unterlagenbeauftragte wird nach Affäre um sexuelle Belästigung Beraterin der Gedenkstätte Hohenschönhausen

25 Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz: Ein Erbe aus 5.340 Tonnen Papier

Monströse Ausmaße: Die Stasiakten belegen, wie konsequent der DDR-Geheimdienst gegen jede Opposition im eigenen Land vorging.

Jürgen Krüger versetzte das DDR-Regime in Angst: Die DDR mal ernst genommen

Jürgen Krüger meldete im Februar 1989 die erste Oppositionsgruppe an. Er wollte testen, ob die DDR jüngst versprochene Freiheitsrechte erfülle. Mit einfachsten Mitteln versetzte er das Regime in Angst.