taz.de -- NPD-Demonstration gegen Journalisten: Ich bin die „linke Sau“

Die NPD darf am Samstag nun doch in Hannover aufmarschieren. Ich weiß, was die Bedrohung bedeutet: Ich bin einer der angefeindeten Journalisten.
Bild: Soll am Samstag nach dem Willen der Polizei nicht in Hannover zu sehen sein: NPD-Fahnen

Die [1][für Samstag angekündigte Aktion der NPD] ist als gezielte Grenzüberschreitung geplant. In der Bundesrepublik werden nach den Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz täglich statistisch betrachtet 50 Straf- und Gewalttaten von rechts verübt. Die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Denn nicht alle Betroffenen wenden sich an die Polizei.

Die wenigsten direkt Angegriffenen sind Journalist*innen. Mit dem geplanten Aufmarsch gegen anfänglich einen Journalisten hat die Anfeindung der Medien jedoch eine neue Dimension der Bedrohung und Einschüchterung erreicht. Die Polizei untersagte den Aufmarsch, doch das Verwaltungsgericht hat das Verbot am Freitag nach einer Klage und einem Eilantrag der NPD wieder aufgehoben.

In einem jüngeren Aufruf für die Demonstration hat die NPD weitere Personen namentlich angeführt, gegen die sich die Demonstration richten soll. Einer von diesen neu hinzugekommenen Personen bin ich.

In den vergangenen Jahren tauchte mein Name schon öfter mal in unschönen und bedrohlichen Zusammenhängen auf – auch in Verbindungen mit verklausulierten Morddrohungen in einschlägigen sozialen Netzwerken.

Nach dem zufälligen Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 schrieb ein militanter Rechtsextremer etwa sinngemäß, dass der NSU nichts mit seiner Szene zu tun habe, andernfalls wären meine Kollegin Andrea Röpke und ich schon tot.

Verdrängte Morddrohung

Röpke und ich haben zusammen verschiedene Bücher zu der Thematik verfasst. 2009 gab es schon mal eine etwas anders formulierte Morddrohung gegen mich. Ein Kollege vom NDR erinnerte mich in den vergangenen Tagen daran, er selbst wurde auch so bedroht. Ich hatte diese Morddrohung von 2009 vergessen – oder wohl eher verdrängt. Das ist notwendig, um mich zu schützen, auch davor, mich an die körperlichen Attacken während meiner Recherchen zu erinnern.

Die freie Presse war schon immer einer „der Feinde“ der rechtsextremen Szene. Wurde schon früh als „Judenpresse“ angefeindet. Die Listen mit den Daten, die heute mithilfe sozialer Netzwerke über Journalist*innen zusammengestellt werden, sind keine neue Erfindung, diese Listen wurden früher nur eben mit den damaligen Techniken angelegt. Und mit dem Aufstieg der AfD sind die Anfeindungen gegen die „Lügenpresse“ nicht bloß stärker und lauter, sondern auch aggressiver und vulgärer geworden. Die Anonymität des Netzes enthemmt stetig. Ich bin ein „Schwuler“, eine „linke Sau“, ein „Wichtel“ und und und. Die Kolleginnen erleben noch ganz andere sexistische Anfeindungen.

Viel Feind, viel Ehr, darf gedacht werden. Aber es darf nicht vergessen werden: sie schießen. Worte sind eben nicht bloß Worte. Das tödliche Attentat auf Walter Lübcke hat gezeigt, dass Rechtsextremisten Repräsentanten des verhassten Systems angreifen – und eben auch Journalist*innen und ich selbst gehören für sie fest dazu.

Um mit dieser Gefahr zu leben, reicht das bloße Verdrängen nicht. Ich muss Schutzmaßnahmen ergreifen; vor allem aber helfen mir der Zusammenhalt im privaten Bereich und die Kollegialität im beruflichen Umfeld – und die Solidarität bei aktuellen Bedrohungen.

Die breite Solidarität anlässlich des angekündigten Marsches in Hannover beeindruckt und ermutigt mich. Sie ist auch ein Statement für die Pressefreiheit und den investigativen Journalismus. Eine Solidarität, die die Opfer des NSU allerdings nicht nachhaltig erfuhren. Eine Solidarisierung, die hoffentlich die kommenden Oper des rechten Terrors jenseits der Medien erfahren werden. Und die Taten werden kommen, treffen können sie jeden ausgemachten Feind.

Anmerkung: Der Kommentar wurde am Freitag, 22.11., um 15.05 Uhr aktualisiert.

22 Nov 2019

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Andreas Speit

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