taz.de -- Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke: U-Ausschuss in Hessen?

SPD und Linke in Hessen kritisieren die Art der Aufklärung zum Mord an CDU-Politiker Lübcke. Und sie bringen einen Untersuchungsausschuss ins Spiel.
Bild: Unter Druck: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) und Verfassungsschutzchef Robert Schäfer (r)

BERLIN/WIESBADEN taz | Die Opposition in Hessen kritisiert die Aufklärung im Mordfall Lübcke scharf – und bringt einen Untersuchungsausschuss ins Spiel. Das Parlament erhalte Informationen zum Fall nur scheibchenweise, sagte SPD-Fraktionschefin Nancy Faeser am Montag der taz. Auch werde immer fragwürdiger, warum der Tatverdächtige 2009 vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwand. „Wenn es weiter keine Transparenz gibt, dann läuft es auf einen Untersuchungsausschuss hinaus.“

Zuletzt musste der hessische Verfassungsschutz nach einer Klage der Welt einräumen, dass in einer NSU-Akte der Name des mutmaßlichen Mörders von Walter Lübcke, Stephan Ernst, elf Mal auftaucht. Der CDU-Politiker und Regierungspräsident von Kassel wurde am 1. Juni erschossen. Durch einen Beschluss des Bundesgerichtshof wurde auch bekannt, dass Ernst [1][noch in jüngerer Zeit mit einem Mitbeschuldigten rechte Demonstrationen besucht und Schießübungen abgehalten] haben soll. Dazu prüft die Bundesanwaltschaft, ob Ernst [2][auch für einen Messerangriff auf einen Iraker 2016 verantwortlich ist].

Auch die Linke in Hessen kritisiert, dass das Parlament von all dem bisher nichts direkt erfahren habe. Die Informationspolitik des Innenministeriums sei „ein riesiges Problem“, sagte Linken-Fraktionschefin Janine Wissler der taz. Es bleibe die Frage, wie ein als gefährlich eingestufter Neonazi plötzlich für keine Behörde mehr eine Rolle spiele. „Wenn es keine Bereitschaft gibt, das Parlament darüber zu informieren, bleibt nur ein Untersuchungsausschuss“, betont Wissler.

Die Linke fordert „maximale Transparenz“

Auch der Linken-Innenexperte Hermann Schaus hält einen solchen Ausschuss für „unumgänglich“, sollte die Landesregierung nicht endlich maßgebliche Dokumente zu dem Fall öffentlich machen. So sei etwa zu klären, warum und wann die Personenakte von Ernst im hessischen Verfassungsschutz gelöscht wurde. „Hier liegt entweder ein massives Versagen der Sicherheitsbehörden vor oder aber der Verfassungsschutz hielt seine schützende Hand lange über Stephan Ernst“, so Schaus. „Maximale Transparenz ist das Gebot der Stunde.“

Die mitregierenden Grünen dagegen bremsen. Es gelte die Regeln des Rechtsstaats einzuhalten, sagte Parlamentsgeschäftsführer Jürgen Frömmrich. „Jetzt ist die Zeit der Ermittler, des Generalbundesanwalts und der Gerichte. Nach Vorlage der Ermittlungsergebnisse, Akteneinsicht und Urteilsverkündung kam man sich mit weiteren Maßnahmen beschäftigen.“

Die CDU lehnt einen Untersuchungsausschuss komplett ab. „Ich warne davor die Ermittlungen durch einen Untersuchungsausschuss zu gefährden“, sagte deren Parlamentsgeschäftsführer Holger Bellino.“ Auch sei der Innenausschuss sehr wohl über den Fall unterrichtet worden, ebenso die Obleute. Auch dass Stephan Ernst elf Mal in dem Bericht des Verfassungsschutz auftauche, sei „nicht überraschend“, so Bellino. Der Mann sei schließlich in Hessen als Rechtsextremist eingestuft gewesen und der Bericht umfangreich. Auch sei das Schriftwerk für den einstigen NSU-Ausschuss einsehbar gewesen, für Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums sei er es bis heute. „Ich halte den von Teilen der Opposition suggerierten Skandal für keinen redlichen Umgang mit den vorliegenden Tatsachen und für verantwortungslos.

Derzeit ermittelt die Bundesanwaltschaft noch im Mordfall Lübcke. Eine Anklage wird bis zum Jahresende erwartet. Auch der Innenausschuss des Bundestags und der des hessischen Landesparlaments werden sich demnächst nochmal mit dem Fall beschäftigen.

23 Sep 2019

LINKS

[1] /Anklage-im-Mordfall-Luebcke/!5627167
[2] /Neuer-Vorwurf-gegen-Luebcke-Moerder/!5627589

AUTOREN

Konrad Litschko

TAGS

Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Hessen
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Rechtsextremismus
Datenspeicherung
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Schwerpunkt Rechter Terror

ARTIKEL ZUM THEMA

Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke: Spur der Waffe führt in den Norden

Die Bundesanwaltschaft prüft, ob die Mordwaffe im Fall Lübcke von „Combat 18 Pinneberg“ stammt. Zu der Neonazi-Gruppe hatte Stephan E. Verbindungen.

Foto soll Lübcke-Tatverdächtigen zeigen: Stephan Ernst bei Chemnitz-Aufzug?

Laut Behörden war der Tatverdächtige für den Lübcke-Mord ab 2009 nicht mehr auffällig. Nun soll ihn ein Foto bei einem Aufmarsch in Chemnitz zeigen.

Nach dem Lübcke-Mord: Nicht schon wieder!

Die Regierung versprach „rückhaltlose Aufklärung“, allen voran die hessische. Geblieben ist nicht viel, wie das Agieren des Verfassungsschutzes zeigt.

Rechtsextreme und Waffen: Bundesrat will Zugang beschränken

Wer den Sicherheitsbehörden als Extremist aufgefallen ist, darf unter Umständen trotzdem Waffen besitzen. Das will der Bundesrat ändern.

Datenschützer über Seehofer-Vorstoß: „Ungerechtfertigte Stigmatisierung“

Innenminister Horst Seehofer will Daten von Extremisten 25 Jahre lang speichern. Datenschützer Ulrich Kelber über den Fall Lübcke, Extremisten und Löschfristen.

Neuer Vorwurf gegen Lübcke-Mörder: Auch einen Iraker niedergestochen?

Die Bundesanwaltschaft weitet die Vorwürfe gegen den mutmaßlichen Lübcke-Mörder aus: 2016 soll er einen Geflüchteten schwer attackiert haben.

Anklage im Mordfall Lübcke: Heikle Erkenntnisse

Der Bundesgerichtshof hält das verworfene Geständnis des Tatverdächtigen weiter für gültig – und sieht auch einen Mitbeschuldigten schwer belastet.

Mögliches Verbot von Combat 18: Nur leere Worte?

Nach dem Lübcke-Mord drohte Innenminister Seehofer, Combat 18 zu verbieten. Dann wurde es ruhig. Nun machen Innenminister aus den Ländern Druck.