taz.de -- Die Wahrheit: Die große Demo

Immer wieder Freitags kommt die Erinnerung: an den Klimawechsel. Nein, -wandel. Dumm nur, wenn stattdessen das Auto streikt.

Natürlich wollte ich am vorigen Freitag zu dem Klimadings am Brandenburger Tor. Ehrensache, obwohl ich in meinem Alter ja durchaus den Herrgott einen bösen Mann sein und die zwanzig Jahre, die die Welt und ich noch haben, gemütlich austrudeln lassen könnte.

Blöde nur, dass ausgerechnet jetzt die Karre nicht lief. Als ich den alten Kühlschrank in den Wald gefahren hatte, musste ich mir die Benzinleitung an einer Wurzel abgerissen haben. Wie sollte ich jetzt zur Demo kommen? Etwa mit den Öffentlichen, wie so ein Knecht, der auch noch die andere Wange hinhält, obwohl ihm niemand auf die eine geschlagen hat?

Zum Glück konnte ich bei zwei besoffenen Touristen auf dem E-Roller mitfahren. Wir sausten geschmeidig durch die bereits dichte Menge der Demonstranten. An der US-Botschaft stärkte ich mich erst mal bei McDonald’s. Einen Double Pig Pork Royal Cheese TS mit Triple Bacon, Jalapenos und Kerosin und eine Maß Coke.

Rülpsend reihte ich mich in die Demo ein und checkte schon mal die Chicks, denn derentwegen war ich schließlich gekommen. Ich war nun schon über zwei Wochen verheiratet. Langsam wurde es langweilig. Und gab es eine bessere Gelegenheit als Fridays for Future, um eine nette Schülerin kennenzulernen? Nebenbei bot das Gedränge beste Gelegenheit zum Taschendiebstahl: Smartphones, Pausenbrote, Drogen, Taschengeld.

Wer, wenn nicht ihr? Wann, wenn nicht irgendwann später?

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, äffte ich die überschnappenden Stimmen der Jugendlichen nach und grinste in mich hinein, denn selbstverständlich wusste ich es besser: Wir hatten alle keine Zukunft. Ich, weil ich keine mehr brauchte, und sie, weil sie keine mehr bekamen. Da konnten sie noch so schrill schreien.

Ich wirkte überaus authentisch. Nur als wir am FDP-Haus vorbeikamen und die Menge dabei lauter wurde, hatte ich kurz Angst um meine Kameraden drinnen, die sich mit ihrer hehren Vision von „Freiheit und Wohlstand in einer klimaneutralen Gesellschaft“ vor dem Nachwuchsmob verschanzt hielten. Irgendwann wäre der Schampus alle. Dann würden sie herauskommen müssen, und was ihnen in dieser von irren Parallelfakten ungesund aufgeheizten Atmosphäre drohte, wollte ich lieber gar nicht wissen: Möglicherweise – schrecklicher Gedanke – würden sie den Protestierenden Rede und Antwort stehen müssen.

Die Wahrheit würden die armen Kinder doch gar nicht vertragen: Es war längst fünf nach zwölf, und der Weltenlauf ließ sich allenfalls in eine Richtung verstellen – im Uhrzeigersinn. Sechs nach zwölf, sechzig nach zwölf, sechshundertsechsundsechzig nach zwölf. Die Doomsday-Demos läuteten doch nur das Ende ein. Bis dahin jedoch, so war der FDP-Vorschlag zu deuten, würden wir gemeinsam noch einmal so richtig die Sau rauslassen, weil eh schon alles egal war, um den Begriff „klimaneutrale Gesellschaft“ mal in verständliche Worte zu kleiden.

26 Sep 2019

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Uli Hannemann

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