taz.de -- WM-Analyse der Bundestrainerin: Auf die Haltung kommt es an

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg präsentiert ihre Analyse vom Versagen des deutschen Teams bei der Frauenfußball-Weltmeisterschaft.
Bild: Haltung zeigen: Trainerin Martina Voss-Tecklenburg beim WM-Viertel-Finale in Frankreich

Frankfurt am Main taz | Den Laptop hatte [1][Martina Voss-Tecklenburg] in den Helmut-Schön-Tagungsraum der [2][DFB]-Zentrale zwar mitgebracht, aber nicht ein einziges Mal aufgeklappt. Die Bundestrainerin schaffte es, ihre WM-Analyse auch ohne Powerpoint-Präsentationen oder Zahlenkolonnen vorzustellen.

Während Joachim Löw vor einem Jahr nach dem WM-Desaster fast acht Wochen abtauchte, ehe er in München eine [3][in Teilen wirre Aufarbeitung betrieb], entschied sich die 51-Jährige für eine prägnante Zusammenfassung der wichtigsten Thesen: „Wir brauchen größeren Widerstand in allen Bereichen. Wir haben nicht zu 100 Prozent geschafft, eine stabile Achse im Team herzustellen. Wir müssen die Hierarchien stärken und die Haltungsfragen stellen.“

Damit ging die Trainerin auf ein Kernproblem ein, welches das vorzeitige [4][WM-Aus im Viertelfinale] gegen Schweden (1:2) bedingte. Warum gingen die deutschen Fußballerinnen am 29. Juni bei der Gluthitze im nordfranzösischen Rennes nach dem ersten Gegentor ein wie eine Primel, die nicht mehr gewässert wird?

„Die ersten 20 Minuten warten top“, sagte die Bundestrainerin, „nach den Gegentoren fehlte es an Festigkeit und Widerstandskraft.“ Ohne die [5][Olympia 2020] – den Tokio-Startplatz hatte der Olympiasieger mit der Niederlage ja auch verspielt – und mit einer sportlich nur bedingt aussagekräftigen EM-Qualifikation muss nun ein Mentalitätswandel bewerkstelligt werden.

Deutschland ist nicht die USA

Der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften, Joti Chatzialexiou, plädiert in diesem Zusammenhang für die Abschaffung der B-Juniorinnen-Bundesliga („gut gemeint, hilft aber nicht weiter“) und dafür, die weiblichen Talente so lange wie möglich im männlichen Bereich mitspielen zu lassen. Als nächsten Schritt wolle man mehr Testspiele auf hohem Niveau – wie das Freundschaftsspiel am 9. November beim WM-Halbfinalisten England im Wembleystadion – bestreiten. Geplant ist daher wieder die Teilnahme am traditionell gut besetzten Algarve-Cup im nächsten Winter.

Voss-Tecklenburg hält den [6][Weltmeister USA] und deren Frontfrau [7][Megan Rapinoe] nur bedingt für ein Vorbild, weil: „Die machen 35 Länderspiele im Jahr, sind drei Monate zusammen und ständig in den Medien präsent. Da sind wir noch nicht.“

Sie sieht zudem, dass gesellschaftliche Probleme („Gleichmacherei erleben wir auf vielen Ebenen“) in ihren Bereich abstrahlen, denn ihr Prinzip der „offenen Türe“ habe in Frankreich nur bedingt funktioniert; zumindest nicht so, wie es sich die intern für ihre Offen- und Direktheit geschätzte DFB-Trainerin gewünscht hätte. Offenbar scheuten vor allem die jungen Spielerinnen den Meinungsaustausch mit dem Trainerteam, das übrigens unverändert weiterarbeitet.

Quantensprung im Frauenfußball

Nicht allzu weit wollte die 125-fache Nationalspielerin die Pforte für eigene Versäumnisse öffnen: Für ihre umstrittene Aufstellung zum Schweden-Spiel mit der ins defensive Mittelfeld versetzten Sturmführerin [8][Alexandra Popp], der Hereinnahme der bis dahin nur als Randfigur geltenden Linda Dallmann oder der Einwechslung der an einem Zehenbruch leidenden Spielmacherin Dzsenifer Marozsan habe es in jedem Einzelfall Gründe gegeben, „aber am Ende war das in der Summe vielleicht ein Ticken zu viel Veränderung“.

Ansonsten strotzt die Bundestrainerin schon wieder vor Tatendrang. Bereits am Montag nächster Woche treffen sich die Nationalspielerinnen in Kassel. Für die ersten EM-Qualifikationsspiele gegen Montenegro (31. August) und das Auswärtsspiel in Lwiw gegen die Ukraine (3. September) sind bis auf die zurückgetretene Lena Goeßling (Wolfsburg) und die verletzt fehlenden Marina Hegering (SGS Essen) und Almuth Schult (VfL Wolfsburg) – die aber beide nach Kassel kommen sollen – alle WM-Kräfte nominiert. Gemeinsam sollen Rückschlüsse aus dem Turnier gezogen werden. Die Bundestrainerin bittet dabei ausdrücklich um Wortmeldungen.

Für personelle Veränderungen etwa in der Innenverteidigung ist dann immer noch Zeit. Einfacher werde es jedenfalls nicht – erst recht nicht bei der EM 2021 in England. „In den letzten acht Jahren hat es im Frauenfußball einen Quantensprung gegeben“, sagte sie.

20 Aug 2019

LINKS

[1] /Neue-Fussball-Bundestrainerin/!5499022
[2] /Deutscher-Fussballbund-DFB/!t5008915
[3] /WM-Analyse-des-Bundestrainers/!5529533
[4] /WM-Aus-gegen-Schweden/!5608434
[5] /Olympia-2020-in-Japan/!5615724
[6] /Finale-der-Frauen-WM-2019/!5610390
[7] /US-Fussballstar-Megan-Rapinoe/!5610407
[8] /Portrait-Alexandra-Popp/!5602236

AUTOREN

Frank Hellmann

TAGS

Frauen-WM 2019
Martina Voss-Tecklenburg
DFB Team Frauen
Fußball
Frauenfußball
Deutscher Fußballbund (DFB)
DFB Team Frauen
DFB Team Frauen
DFB Team Frauen
England
Frauenfußball
Frauen-WM 2019
Kolumne Frühsport
Serge Gnabry
Martina Voss-Tecklenburg
FC Bayern München
Discover Football
Frauenfußball

ARTIKEL ZUM THEMA

DFB-Frauen gegen Bulgarien: Unbekannte Grenzerfahrungen

Am Samstag treffen die DFB-Frauen zur WM-Quali auf Bulgarien. Die Elf könnte von Dzsenifer Marozsáns Erfahrungen in der US-Liga profitieren.

Trainerin über Frauen-Fußball-WM 1981: „Unbegreifliche Ignoranz“

Deutsche Fußballerinnen gewinnen 1981 den WM-Titel – ganz ohne Hilfe des DFB. Spielertrainerin Anne Trabant-Haarbach erinnert sich.

Fußball der Frauen: Elektrisierende Kulisse

Deutschland gewinnt in Wembley 2:1 gegen England. Die Zukunft des deutschen Fußballs scheint plötzlich wieder in den hellsten Farben zu leuchten.

Ticketverkauf im Frauenfußball: England macht das Stadion voll

Das Londoner Wembley-Stadion wird zum Frauen-Länderspiel England gegen Deutschland ausverkauft sein. Der DFB kann da längst nicht mithalten.

Fußballerin Klara Bühl: Die neue Arjen Robben

Die 18-jährige Stürmerin des SC Freiburg zählt zu den größten Hoffnungen für die Zukunft des deutschen Frauenfußballs.

Fußball-Nationalspielerin Almuth Schult: Baustelle Schulter

Almuth Schult hat mit schweren Verletzungen bei der WM gespielt – auf eigenes Risiko. Was der DFB darüber wusste, kann auch eine TV-Doku nicht klären.

Förderung von Frauenfußball: Radikaler Kurswechsel

Der designierte DFB-Präsident Fritz Keller will die Männerprofivereine zur Förderung des Frauenfußballs verpflichten. Ein Problem gibt es dabei.

EM-Qualifikationsspiel gegen Niederlande: Deutschland nicht ganz dicht

Die DFB-Elf verblüfft bei der 2:4-Niederlage gegen die Niederlande mit ihrer defensiven Ausrichtung. Instabil ist sie dennoch.

Fußballnationalmannschaft der Frauen: Einfach feiern!

Der 10:0-Erfolg der deutschen Fußballerinnen gegen Montenegro sagt wenig aus. Dafür spricht man im DFB-Team gern über die neue Innenverteidigerin.

Fußball-Bundesliga der Frauen: Endlich mehr Präsenz

Die Fußball-Bundesliga der Frauen beginnt. Mehr denn je steht die Frage im Raum, wie die Klubs den Anschluss an die Spitze Europas halten können.

„Discover Football“ in Berlin: Es steht viel auf dem Spiel

Kann Sport ein Werkzeug für soziale Veränderungen sein? Ja, meint Juliana Lozano und will es beim Frauenfußball-Festival „Discover Football“ zeigen.

Nach verlorenem EM-Finale der Frauen: U19-Fußballtrainerin muss gehen

Die deutschen U19-Fußballerinnen überzeugen bei der EM und scheitern erst im Finale. Die Trennung von Trainerin Maren Meinert wirft Fragen auf.