taz.de -- Ausstellungsempfehlung für Berlin: Der Stoff, er bebt und atmet

In Reto Pulfers raumgreifenden Installationen führen die Dinge ein Eigenleben. Die taz sprach mit dem Künstler.
Bild: Detailansicht von Reto Pulfers Ausstellung „Der hausende Zustand (Reticulum Schwarzkümmelmarkt)“, 2007-2015, Blake & Vargas, Berlin, 2019. Courtesy der Künstler und Hollybush Gardens, London

Mit der Kunst von Reto Pulfer betritt man einen anderen Kosmos. Einen, in dem die Dinge ein Eigenleben führen und Worte in sonderbaren Klang- und Sinnkonstellationen vom Infoblatt, auf eine Aquarellzeichnung, in ein Stoffzelt oder in eine gitarrenunterlegte Sprachaufnahme wandern können.

Seine Titel lauten: „Zum Todesrhizom mit den Machern!“ oder „Gina, Wüstenlandschaft mit Klotz in der Ferne, Netz obenauf, und grossem, unerklärlichem und entfliehenden See“. In Pulfers sprachlicher Welt leben Figuren wie der mehrgeschlechtliche Pflanzenmensch Gina, und diese dringen in die vielen Materialien, Fundstücke und bunten Stoffe seiner archaisch anmutenden Installationen vor.

Wie bei Blake & Vargas, wo er mit Leinen und Jersey eine Art blau tönende Grottenlandschaft abhängte und in verschiedenen Nischen und Flächen Szenen aus dem Leben der Gina auftauchen, von Pulfer aufs Textil geschrieben, auf ein Zeichenblatt gekritzelt, oder in einer Soundinstallation vorgelesen. In dieser eingehegten Welt ist alles miteinander verknüpft: Bewegt man sich hier, bebt es dort.

Einblick 759: Reto Pulfer (Künstler)

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

Reto Pulfer: Ich bin nicht durch Ausstellungen inspiriert. Im Alltag passieren so viele interessante Dinge, auch wenn sie sich nur scheinbar wiederholen. Was soll ich mich da über Kunst aufregen? Dinge passieren einfach, die Welt geschieht, und ich versuche darin zu wirken, auch wenn ich manchmal nichts tue.

Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?

Automobilklub.

Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?

Doris Lessing, „The Cleft“, und Niklas Karl mit „Plant Evolution, an Introduction to the History of Life“.

Was ist dein nächstes Projekt?

In Paris pflanze ich linkswindende Trichterwinden und rechtswindenden Hopfen in eine Badewanne, die im Hof des Centre Culturel Suisse steht. In der Ausstellung stelle ich Stofffasern aus, die ich aus Brennnesselstängeln hergestellt habe. Zur Eröffnung findet eine Konferenz statt, bei der auch Emanuele Coccia spricht, was mich unheimlich freut. Anschließend reise ich nach Los Angeles für eine improvisierte Einzelausstellung. Auf dem dortigen Mount Wilson entdeckte Edwin Hubble um 1923, dass es neben unserer Milchstraße noch unzählige weitere Galaxien im Universum gibt. Zur Art Basel findet in einer Mietwohnung, die fußläufig zum Goetheanum liegt, eine Gruppenausstellung über Anthroposophie und „Strategies for Coping with the Digital Colonization of Mind and Body“ statt.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?

Aufwachen und Einschlafen.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz.

6 Feb 2019

AUTOREN

Sophie Jung

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