taz.de -- Preis an Bildungsinitiative Queerformat: Schwule zeigen öfter an
Polizei rechnet mit der Zunahme von homophoben und transphoben Übergriffen bis Ende des Jahres. Respektpreis 2018 geht an Bildungsinitiative Queerformat.
Nicht nur die AfD hatte das Erscheinen der senatsgeförderten Broschüre zu verhindern versucht. Auch FDP und CDU schlossen sich im Abgeordnetenhaus den Anträgen an. Umso mehr freuten sich die Autorinnen und der Autor der Bildungsinitiative Queerformat am Freitag über die Auszeichnung: Der vom Bündnis gegen Homophobie verliehene Respektpreis 2018 geht an [1][„Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“]. Hinter dem etwas sperrigen Titel verbirgt sich eine 140-seitige Handreichung für einen vorurteilsfreien Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt. Zielgruppe sind pädagogische Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung.
Im Rahmen der Preisverleihung, zu der mehr als 100 Mitglieder des Bündnisses geladen waren, stellte Polizeipräsidentin Barbara Slowik die aktuelle Kriminalitätsstatistik homophober und transphober Übergriffe im Jahr 2018 vor. Dabei handelte es sich um die Zahlen des ersten bis dritten Quartals dieses Jahres. Gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres ergibt sich ein Rückgang um 139 angezeigten Taten auf aktuell 105. Darunter waren 30 Gewaltdelikte und 75 sonstige Taten. Die Aufklärungsquote ist mit 43 Prozent nahezu konstant.
Was den Rückgang betrifft, warnte die Polizeipräsidentin allerdings vor vorzeitiger Freude. Sie müsse leider davon ausgehen , dass bis zum Ende des Jahres mit einem Anstieg zu rechnen sei. Für die zu erwartende Steigerung lieferte Slowik zwei mögliche Erklärungen: Das Bemühen der Polizei, Betroffene der queeren Community zum Anzeigen zu ermutigen, „hat gegriffen“. Oder aber, und das wäre die ungünstigere Variante: „Eine gesellschaftliche negative Entwicklung führt zu deutlich mehr Straftaten.“
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), der zu den geladenen Gästen gehörte, verwies gegenüber der taz darauf, dass sich die vertrauensbildenden Maßnahmen der Ermittlungsbehörden bei schwulen Männern inzwischen spürbar auszahlten, denn immer mehr würden Straftaten anzeigen. „Bei lesbischen Frauen ist das Misstrauen aber leider noch sehr groß.“
Mitte am gefährlichsten
Haupttatorte waren Mitte (27 angezeigte Fälle), Friedrichshain-Kreuzberg (21), Neukölln (18) und Tempelhof-Schöneberg (13). In den östlichen Bezirken liegt Marzahn-Hellersdorf mit 7 Fällen an der Spitze. In Treptow-Köpenick waren es 4. Dass die Innenstadtbezirke führend sind, erklärte Oberstaatsanwältin Ines Karl am Rande der Preisverleihung so: In Mitte und Kreuzberg zeigten sich Schwule, Lesben und Transgender offen. Karl kümmert sich bei der Staatsanwaltschaft schon seit vielen Jahren ausschließlich um die Themen Homophobie und Hasskriminalität.
Neben der ausgezeichneten Bildungsinitiative Queerformat waren die Kabarettistin Idil Baydar, das Internetportal „Queer History“ sowie die Faninitiative „Tennis Borussia Aktive Fans“ für den Respektpreis nominiert. Respektlosigkeit beginne weit unterhalb von Straftaten, sagte Behrendt, der am Freitag den Preis überreichte. „Es fängt an mit anstarrenden Blicken und abfälligen Gesten.“ Die Berliner Polizei sei eine „bunte offene Polizei“, betonte Barbara Slowik: „Bitte haben Sie Vertrauen und keine Angst.“ Den Appell richtete sie nicht nur an die Opfer homophober Straftaten, sondern auch an Zeugen.
2 Nov 2018
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg wird für seine Arbeit gegen die Diskriminierung von queeren Menschen ausgezeichnet.
Aline de Oliveira hat so lange versucht, als Mann zu leben, bis sie nicht mehr weiter konnte. Doch je weiblicher sie wurde, desto größer war die Ablehnung.
Vor allem für schwule Männer fehlen in Berlin bei drohender Zwangsverheiratung Hilfsangebote. Das soll sich nun ändern.
Fortschritte in Sachen LGBTI kamen in Deutschland vergleichsweise spät. Das liegt auch an den Linken und Linksliberalen hierzulande.
Die Wahrscheinlichkeit, als schwuler Mann grob beleidigt oder angegriffen zu werden, ist extrem hoch, sagt Maneo-Leiter Bastian Finke. Sogar in Berlin.
Seit einem Jahr unterstützt die Telefonhotline L-Support Frauen, die lesbenfeindliche Gewalt erlebt haben. Doch viele Betroffene behalten solche Erfahrungen für sich.