taz.de -- 40 Jahre taz: Die Frankfurter Anfänge: Vom Größenwahn der Amateure

Die ersten drei Nullnummern der taz wurden in Frankfurt hergestellt. Es war ein riesiges, hierarchiefreies, produktives Chaos.
Bild: Ein Foto aus älteren Tagen: Irmgard Schulz und Karl-Heinz Stamm bei der taz-Produktion in Frankfurt

Wie wir es geschafft haben, die zehn Nullnummern der taz zusammenzuschustern, ist mir bis heute ein Rätsel. Für die ersten drei Nullnummern war die Zentralredaktion noch in Frankfurt. Wir improvisierten viel. Doch die angehenden Redakteure mussten erst einmal lernen, dass Zeitungmachen nicht nur aus Schreiben von Artikeln besteht. Fast jeder machte alles, die Kontakte allerdings zwischen Frankfurt und Berlin und zu den Initiativen für die Artikel liefen – Gott sei dank – über engere, vorsortierende Kanäle.

Keiner hatte den Überblick, eines ergab sich irgendwie aus dem anderen. Irgendjemand wusste, dass es im Verlag Roter Stern einen IBM-Kugelkopf-Composer gab. Der Verleger K. D. Wolff stellte ihn gern zur Verfügung und so wurden auf den letzten Drücker einige Artikel fahnengerecht getippt. In den Räumen des ID (Informationsdienst für unterbliebene Nachrichten) klebten wir die Zeitungsseiten zusammen, von denen dann Reproduktionen gemacht wurden.

Wie schön war es dann, die gedruckte Zeitung in der Hand zu halten. Um teure Vertriebskosten einzusparen hatten wir uns etwas einfallen lassen. Wir nutzten die zentrale Lage Frankfurts mit den in alle Himmelsrichtungen abgehenden Zügen. Ganze Zeitungsstapel legten wir in die Gepäckablagen von Zügen und riefen Genossen aus den jeweiligen taz-Initiativen an: „Passt auf, Zugnr. 1249, Wagen 7, Abteil 5.“ Die meisten Pakete kamen an!

Der Anspruch war: Westfalenhalle

Unser Größenwahn machte auch vor der Öffentlichkeitsarbeit keinen Halt. Wir saßen in einer Frankfurter WG mit ein paar Berlinern und planten ein großes Benefizkonzert mit Rockgruppen und politischen Liedermachern. Das sollte dann gleich in der Dortmunder Westfalenhalle, damals der größten Konzerthalle in der ganzen Republik, stattfinden.

Nina Hagen sagte spontan zu, Udo Lindenberg schien auch nicht abgeneigt. Zur Planung traf ich den Hallenmanager in der riesigen Westfalenhalle – und kam mir dann doch recht klein vor.

Der Berliner Schriftsteller Yaak Karsunke, der nach unseren Vorstellungen durch das Konzert führen sollte, gab mir dann den Rest. Er blaffte mich nur an: „Ihr spinnt wohl, ich mach euch doch nicht den linken Rudi Carrell.“ Wir organisierten dann relativ erfolgreich ein paar kleinere Benefizveranstaltungen, mit den „3 Tornados“ und anderen Sympathisanten.

Links, radikal, aber nicht „linksradikal“

Raus aus den Wolken – rein in die Stadt. Linke undogmatische Politik sollte mehr Bezug zur Realität bekommen. Wir diskutierten nächtelang, ob wir unsere Zeitung als „linksradikal“ bezeichnen wollten. Das Wort legte uns zu sehr fest, andere Vorschläge wurden verworfen. Aber links sollte sie schon sein und selbstverständlich radikal. So einigten wir uns auf die Formel „eine linke radikale Zeitung“.

Der Mangel an hierarchischen Strukturen, unsere anarchistische Wildheit und spätpubertärer Größenwahn ermöglichten Neues, waren aber nicht durchzuhalten. Auf Dauer waren die Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen eine – zu Beginn sicher auch eine produktive – Zumutung.

Wir wussten alles besser – und untereinander und gegeneinander sowieso. Unserem linken Anspruch entsprach es, dass alle irgendwie bei allem mitmachen können und sollen. Natürlich setzten sich bestimmte Leute dann doch durch, auf verschlungenen Wegen – oder die, die am lautesten und längsten riefen. Es dauerte ein paar Jahre, bis akzeptiert wurde, dass ein Rahmen mit Entscheidungsstrukturen und Zuständigkeiten nach Talent, Kompetenz und Bereitschaft demokratischer und produktiver ist.

Ich selber, unerfahren und gerade aus der westfälischen Provinz über Bremen endlich im bewegten Frankfurt angekommen, erahnte die Paradoxien und Widrigkeiten des Journalismus. Ohne journalistische Ausbildung entschied ich mich, mein Studium wieder aufzunehmen, um etwas „Richtiges“ zu lernen – ungeachtet dessen, dass mein zukünftiger Beruf, der des Psychoanalytikers, nicht weniger paradox und widersprüchlich sein würde. Die gut zwei Jahre bei der taz will ich nicht missen. Von den Erfahrungen profitiere ich bis heute in meinen verschiedenen beruflichen Kontexten und Gruppen.

Und zum Glück sind andere dabeigeblieben, getreu dem Motto auf dem Grabstein von Herbert Marcuse: „Weitermachen!“ Man darf nicht aufgeben und muss optimistisch bleiben. Dass die taz dies seit 40 Jahren tut. Chapeau!

2 Oct 2018

AUTOREN

Otte

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