taz.de -- Unabhängigkeit der Ukraine: Waffen und Nationaltracht

Mit einer pompösen Militärparade feiert die Ukraine ihre Loslösung von den Sowjets im Jahr 1991. Nicht alle sind begeistert von der Unabhängigkeit.
Bild: Panzer in Kiew: So feierte die Ukraine am Freitag ihre Unabhängigkeit

Kiew taz | Mit einer der größten Militärparaden seiner Geschichte hat die Ukraine am Freitag in Kiew ihren 27. Unabhängigkeitstag gefeiert. Bereits um acht Uhr morgens hatten sich vor den im Stadtzentrum aufgebauten Metalldetektoren lange Schlangen gebildet.

Bei Sonnenschein und heißen Temperaturen prägten Frauen und Männer, oft mit Kinderwagen und in Vyshiwankas, den handgestickten Hemden und Kleidern, die in der Ukraine als Nationaltracht gelten, gekleidet, das Straßenbild.

4.500 Soldaten stellten ihren Kampfgeist zur Schau und präsentierten die neuesten Waffen der ukrainischen Armee, die meisten „made in Ukraine“. Auch Uniformierte aus 18 anderen Ländern, darunter Polen, USA, Kanada, Rumänien, Republik Moldau und Estland zogen im Gleichschritt an der militärischen Führung der Ukraine vorbei.

Erstmals marschierten auch Hundert Frauen in Uniform und mit einer Schnellfeuerwaffe in den Händen am ukrainischen Präsidenten und Oberbefehlshaber Petro Poroschenko vorbei.

Zeitweise nahmen dicke bläulich-weiße Rauchwolken die Kiewer Prachtmeile, den Chreschtschatik, so sehr in ihren Besitz, dass die schweren Panzer und Raketenträger, die über den Chreschtschatik donnerten und den Rauch verursachten, nur schemenhaft zu erkennen waren.

Gegen die „Abhängigkeit vom russischen Imperium“

Die Richtung, die das Land einschlage, sei klar, machte Präsident Poroschenko deutlich. Hin zu EU und NATO und weg von Russland. „Wir zerschlagen den Knoten der Abhängigkeit vom Russischen Imperium. Das betrifft auch die russische Kirche, die jeden Tag für Russland betet“, so Poroschenko.

Damit dürfte Präsident Poroschenko auf die Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats angespielt haben, die ihren Sitz in dem weltberühmten Höhlenkloster im Zentrum Kiews hat. Diese ist wegen ihrer Nähe zu Moskau der ukrainischen Regierung und den Nationalisten schon lange ein Dorn im Auge. Vieles spricht dafür, dass die ukrainische Regierung die orthodoxen Kirchen im Land vereinen will. Das wäre auch das Ende der Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats in der Ukraine.

Ab sofort, sagte Poroschenko, gelte als Gruß in der ukrainischen Armee die Grußformel „Ruhm der Ukraine – den Helden Ruhm“. Diese stammt von der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die während des Zweiten Weltkrieges zeitweise mit der deutschen Wehrmacht kooperiert hatte.

Erstmals donnerten auch am Himmel Flugzeuge der Luftwaffe über Kiew. Seit dem Unglück bei einer ukrainischen Flugshow 2002, bei der 77 Menschen ums Leben gekommen waren, hatte es in der Ukraine keine Avia-Shows mehr gegeben.

„Ich freue mich über die Militärparade“, erklärt Sergiy, der eigens mit Frau und Kind aus dem Städtchen Shitomir nach Kiew angereist war, gegenüber der taz. „Wir müssen den Russen zeigen, dass wir militärisch mit ihnen mithalten können. Und wo können wir das besser als mitten in Kiew.“

Wenig Begeisterung kann indes eine Passantin für die Parade empfinden. „Ich komme aus der Westukraine. Und bei uns wird in der letzten Zeit sehr viel Holz für westliche Kunden gefällt. Wenn Unabhängigkeit heißt, dass Ausländer unsere Wälder abholzen lassen dürfen, dann bin ich gegen diese Unabhängigkeit.“

Enttäuscht von der Unabhängigkeit

Zum Jahrestag wurde auch in den sozialen Medien diskutiert. Wolodimir Tschemeris, zu Zeiten der Sowjetunion wegen Unabhängigkeitsbestrebungen aus der Universität zwangsexmatrikuliert, zeigte sich enttäuscht von 27 Jahren Unabhängigkeit.

Der Kampf für die Unabhängigkeit 1991 sei richtig gewesen. „Doch jetzt, 27 Jahre später, sehen wir, dass wir diesen Kampf für die Unabhängigkeit verloren haben“, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Das Land sei in den Händen von ehemaligen Komsomolzen, die schnell zu knallharten Kapitalisten mutiert seien. Man habe damals für Freiheit gekämpft. Doch bekommen habe man Militarismus, soziale Ungerechtigkeit und Einschränkungen der Meinungsfreiheit.

24 Aug 2018

AUTOREN

Bernhard Clasen

TAGS

Ukraine
Petro Poroschenko
Russland
Nato
Ukraine
Ukraine
Ukraine
Ukraine
Kyjiw
Ukraine
Peter Altmaier
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine

ARTIKEL ZUM THEMA

Kiewer Akademie exmatrikuliert Künstler: Soldaten in Phallusform

Ein Student hatte eine Phallus-Parade aus Gipssoldaten aufgestellt. Pazifistisch sollte diese sein – der Direktor des Instituts findet sie „unmoralisch“.

Kirchenkampf in der Ukraine: Krieg unter der goldenen Kuppel

Ein Machtkampf zerreißt das Dorf Ptitscha. Die Kirche ist dicht. Manche gehen zum Küster, andere nutzen eine Garage für Gottesdienste.

Flucht vor dem Militärdienst: Ukrainer auf Westkurs

Roman Petrenko studiert in Berlin und hängt in der Luft. Der ukrainische „Junior-Leutnant“ will nicht in den Krieg ziehen – so wie Tausende andere.

Unabhängigkeit von Russland: Kiews Kirchenkampf gegen Moskau

Die Ukraine sucht auch theologisch die Unabhängigkeit vom Nachbarn. Die Regierung will, dass sich beide orthodoxen Kirchen von Russland lösen.

Pogrome gegen Roma in der Ukraine: Rechte Gewalt als Kavaliersdelikt

Ein Rechtsradikaler hat mußmaßlich ein Roma-Lager in Kiew in Brand gesteckt. Jetzt wurden die Auflagen seines Hausarrests stark gelockert.

Femen-Gründerin Oksana Schatschko: Abschied von einer Frauenaktivistin

Die Mitgründerin der ukrainischen Bewegung „Femen“, Oksana Schatschko ist gestorben. Seit 2014 widmete sie sich vor allem künstlerischen Aktivitäten.

Pipeline von Russland nach Deutschland: Verhandlungen über Gastransit

Russland und die Ukraine reden in Berlin über die Folgen der Gaspipeline Nord Stream 2. Trump mildert derweil seine Kritik daran ab.

Gipfeltreffen von USA und Russland: Viel Lärm um nichts

Experten in der Ukraine erwarten wenig von dem Treffen zwischen Trump und Putin: der eine sei unberechenbar und der andere auf alles vorbereitet.