taz.de -- Die Wahrheit: Rechts ist da, wo der Nazi links blinkt

In Sachsen ist man keinesfalls rechts, auch wenn man rechts ist. Eigentlich wäre man gerne links, ist aber eben zugleich auch rechts. Noch Fragen?
Bild: Keine Ruhmestage für die Polizei in Chemnitz

Wenn es nach den Nazis in Sachsen geht, muss die Geschichte des Rechtsradikalismus komplett umgeschrieben werden. Weil der Rechtsradikalismus gar nicht rechts ist. Und nie war. Sondern … vielleicht links oder so, keine Ahnung, ist ja auch nicht einfach, auf alle Fälle nicht rechts. Und man selbst ist dann auch nicht rechts, wenn man rechts ist. Was aber auch gar nicht so schlimm wäre, also, wenn man rechts wäre. Links dürfe man ja schließlich auch sein. Ist man dann ja vielleicht gleichzeitig auch … Hä?

In Chemnitz randalieren wieder Menschen auf der Straße, die im Schnitt zu den Ost-Jahrgängen 1968 bis 1978 gehören. Da fragt man sich, welche Informationen über den Nationalsozialismus im nicht nur von SED-Nostalgikern, sondern – was das „Bildungsniveau“ betrifft – auch vom Ost-Bürgertum gelobten DDR-Bildungssystem eigentlich weitergegeben wurden. Außer dass die SPD, also die Sozialfaschisten, also linke Nazis (oder rechte Linke?), durch die Verweigerung der Einheitsfront schuld an der Machtergreifung der NSDAP war. Weswegen übrigens heute ein gewisser Teil der Partei „Die Linke“ versucht, durch eine Querfront mit Rechten die Einheitsfront überflüssig zu machen.

Solchermaßen durch die damalige Volksbildungsministerin Margot Honecker oder wen auch immer verwirrte Ex-DDR-Bürger bestehen auch gern vor Fernsehkameras darauf, nicht rechts zu sein, während sie selbst oder Menschen neben ihnen den Hitlergruß zeigen oder im Hintergrund andere „frei, sozial und national“ brüllen. Den Höhepunkt dieser Absurdität bildete für mich ein Mann, der bei den Einheitsfeierlichkeiten 2016 in Dresden im Pegida-Rassisten-Pöbel ein Plakat mit einem Goebbels-Zitat hochhielt, weil er es satt war, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Das Zitat lautete: „Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke. Nichts ist uns verhasster als der rechtsstehende nationale Besitzbürgerblock.“

In diesem Zitat besteht also Goebbels, der – ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster hängen, aber doch von 99,99 Prozent der Politikwissenschaftler als Nazi eingeordnete – Propagandaminister des Dritten Reiches, darauf, ein Linker zu sein. Und der Schildhochhalter schließt sich an und erklärt einer Journalistin, auch er habe keine Lust mehr, als Nazi bezeichnet zu werden. Im Weiteren führt er aus, dass es übrigens viele Quellen gäbe, die bewiesen, dass die Zahl der europäischen Juden sich im Dritten Reich sogar vergrößert habe. „Nicht verkleinert.“ Und man fragt sich: Gibt es in Sachsen eigentlich kein betreutes Wohnen? Oder Psychopharmaka?

Die tragische Pointe ist übrigens, dass das Chemnitzer Todesopfer ein Deutscher mit kubanischen Wurzeln ist, der aufgrund seiner Hautfarbe immer wieder Probleme mit Rassisten hatte. Man kann sich sicher sein, dass dies dem Nazi-Straßenmob wohl gar nicht klar war. Und jetzt passt es ihnen ins Konzept. Sie sind ja nicht rechts.

29 Aug 2018

AUTOREN

Hartmut El Kurdi

TAGS

Sachsen
Rechtsradikalismus
Chemnitz
Rentner
Margot Käßmann
Nazis
Schwerpunkt Rassismus
Reisen
Gendergerechte Sprache
Hochzeit

ARTIKEL ZUM THEMA

Die Wahrheit: Boris Palmer, der OB-Rentner

Dieser auffällig gewordene Verwaltungsmann ist nicht schwäbischer Punkrock. Er ist ein an der Uni Tübingen entwickelter Polit-Rentner-Hybrid.

Die Wahrheit: Beschneidungsfreie Konversion

Ein kleines, gleichsam privatreligöses Ritual führt in Hannover von Frau Käßmanns Wirkungsstätte zum Beinahewiedereintritt in die Kirche.

Die Wahrheit: Tröstende Antifa

Eine kleine Erinnerung an bewegte Zeiten, in denen Nazis eine ganze Stadt in Atem hielten und nur wenige Gegner sich ihnen entgegenstellten.

Kommentar Chemnitz-Ausschreitungen: Moment der Politisierung

Die Generation der zwischen 1980 und 1990 Geborenen ist politisch kaum aktiv. Die beängstigenden Vorfälle von Chemnitz sollten das ändern.

Die Wahrheit: Lob des Mikrotourismus

Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah: Statt Städte- oder Fernreisen werden Zimmerreisen bald der neueste heiße Scheiß sein.

Die Wahrheit: Kampf den Gendergendarmen

Im Kampf gegen den Genderwahn bieten Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen Argumentationshilfen an – auch der Dichter Reiner Kunze.

Die Wahrheit: Das dritte Auge der Windsors

Ein dringend notwendiger Abschlussbericht zur royalen Hochzeit des Jahres und den noch royaleren Rassismen im Umfeld der Windsors.