taz.de -- Wohnungslose organisieren sich: „Wir haben aber auch Stärken“
Wohnungslose aus ganz Deutschland wollen eine bundesweite Selbstvertretung aufbauen. Damit wollen sie ihre Interessen öffentlich machen.
Freistatt epd | Wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen aus ganz Deutschland wollen eine bundesweite Selbstvertretung aufbauen, um ihre Interessen öffentlich zu machen. Beim dritten [1][Wohnungslosentreffen in Freistatt bei Diepholz] sei dafür in der vergangenen Woche der Grundstein gelegt worden, sagte Koordinator Stefan Schneider (53) am Sonntag zum Abschluss des Camps dem Evangelischen Pressedienst. Die Situation obdachloser und wohnungsloser Menschen werde in der Öffentlichkeit häufig nur als Defizit beschrieben. „Wir haben aber auch Stärken und Fähigkeiten“, betonte Schneider. Diese wollten die Wohnungslosen nun in politische Debatten und soziale Initiativen einbringen.
Bei dem einwöchigen Treffen erarbeiteten die rund 100 Teilnehmer ein Fünf-Punkte-Programm, um die Situation wohnungsloser Menschen zu verbessern. Sie fordern unter anderem eine auf sie zugeschnittene medizinische Versorgung mit mehr Arztmobilen und kostenlosen Medikamenten. Neben einer Akut-Versorgung müsse auch die Behandlung chronischer Krankheiten möglich sein. Zudem müsse die Versorgung psychisch kranker Wohnungsloser verbessert werden.
Das Recht auf eine Wohnung müsse im Grundgesetz verankert und praktisch umgesetzt werden, verlangen die Teilnehmer weiter: „Wir brauchen ein breites Bündnis für eine neue Wohnungspolitik.“ Wohnungslose Menschen sollten auch in Bauvorhaben einbezogen werden. Zu den weiteren Forderungen gehören ein höherer Regelsatz an Sozialhilfe für Menschen, die auf der Straße leben, und mehr Möglichkeiten, den Kontakt zu getrennt lebenden Kindern zu pflegen.
Die Teilnehmer haben sich durch die Internet-Plattform [2][wohnungslosentreffen.de] sowie durch soziale Medien miteinander vernetzt. Nötig seien jetzt eine ständige Koordinierungsstelle, halbjährliche Koordinierungstreffen sowie weiterhin jährliche bundesweite Treffen, heißt es in einer Abschlusserklärung. Gemeinsam wollten die Wohnungslosen die [3][Mechanismen der Ausgrenzung und Entmündigung] überwinden: „Alles verändert sich, wenn wir es verändern.“
Das nächste Treffen soll im Juli 2019 stattfinden, voraussichtlich in einer Einrichtung der Diakonie im oberbayerischen Herzogsägmühle.
29 Jul 2018
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