taz.de -- Zum Schutz vor Wildschweinen: Dänemark zäunt sich ein

Das Land will einen siebzig Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Deutschland errichten – als Schutz gegen die Schweinepest. „Schwachsinn“ kritisiert der BUND
Bild: Können sogar schwimmen: Ein Zaun stellt für Wildschweine kein Hindernis dar

Kiel taz | Wolfgang Stapelfeld steht mit einem Fuß in Deutschland, mit dem anderen Fuß in Dänemark und schüttelt den Kopf: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie man hier etwas sperren will.“ Im Örtchen Rodenäs ist die Grenze zum Nachbarstaat praktisch unsichtbar, nur ein Schild weist auf die Lichtpflicht und die Temporegeln in Dänemark hin. Neben der Straße öffnet sich ein von Schilf umstandener See, in dessen Mitte irgendwo die Grenze liegt. Der Himmel ist weit, das Land ebenso – noch. Denn ab Herbst könnte ein Zaun den Blick verstellen, wenn Dänemark seine Pläne umsetzt: Dieser Zaun, 70 Kilometer lang und 1,50 Meter hoch, soll Wildschweine abhalten. Ein Schutz, der kaum taugt gegen Schweine, die gar nicht da sind.

Die Gefahr immerhin, die Dänemark mit dem Zaun abwehren will, ist höchst real: Die Afrikanische Schweinepest, ASP, bedroht aktuell Landwirte in ganz Europa. Die Krankheit, die für Menschen nicht gefährlich ist, aber Haus- wie Wildschweine tötet, breitet sich seit einigen Jahren aus. Erst starben Tiere im Baltikum, in Russland und der Ukraine, 2017 wurde der Erreger an Wildschweinen in Tschechien und Rumänien nachgewiesen. Im Mai kam es in Ungarn zu einem Ausbruch. Und früher oder später könnte auch Deutschland betroffen sein.

Schleswig-Holsteins Umwelt- und Landwirtschaftsministerium hat jüngst mit Jägerschaft und mehreren Fachbehörden in einer Großübung die Maßnahmen nach dem Fund eines mit ASP infizierten Wildschweins durchgespielt. „Wenn es ausbricht, ist das eine Katastrophe“, sagt Wolfgang Stapelfeld, Landwirt und Kreisvorsitzender des Bauernverbands im Bereich Südtondern in Nordfriesland. Peter Boysen, Landesvorsitzender des Anbauverbands Bioland, stimmt zu: „Alle Betriebe wären massiv betroffen, ob bio oder konventionell.“

Wird nur ein Schwein mit dem Pesterreger gefunden, muss der ganze Bestand sterben. „Für Landwirte mit Herz und Seele ist das hart, wenn die Schweine sinnlos getötet werden wegen so einem blöden Virus“, sagt Boysen. Bio-BäuerInnen tragen eine Zusatzlast: Denn sie müssen ihren Tieren Auslauf unter freiem Himmel bieten. Auf 47 Höfen – von landesweit 2.000 Schweinebetrieben – leben die Sauen und Eber laut Umweltministerium ausschließlich im Freiland. Bei langer Zwangs-Aufstallung könnten die Höfe ihr Bio-Logo verlieren.

Schwimmende Schweine

Der Zaun allerdings, den Dänemarks Parlament als Maßnahme gegen die Pest beschloss, lässt Bauernvertreter, PolitikerInnen und NaturschützerInnen mit den Köpfen schütteln. „Reine Symbolpolitik“, sagt Stapelfeld. Landesumweltminister und Grünen-Bundesvorsitzender Robert Habeck sprach von einer „überzogenen Maßnahme“. Und für Tobias Langguth, Sprecher der Naturschutzorganisation BUND, ist der geplante Zaun „Schwachsinn“ und überdies schädlich, weil er zwar keine Schweine aufhält, wohl aber Rotwild, das auf das Suche nach Futter in Herden zwischen den Staaten hin- und herwechselt. „Schon heute lassen sich die Folgen von Inzucht nachweisen“, sagt Langguth.

Anders als Rehwild seien Schweine in der Lage, die Hürde zu umgehen, sagt Stapelfeld. Straßen und Wasserflächen ließen sich nicht sperren, „und das haben Wildschweine schnell spitz, die sind ja nicht blöd“. Im April entstand im Ort Maasholm an der Schlei ein Video, das eine Truppe Wildschweine beim Schwimmen zeigt.

Allerdings gibt es im Norden Schleswig-Holsteins so gut wie keine Wildschweine: „Der Nord-Ostsee-Kanal ist eine Hürde, über die sie nicht so leicht rüberkommen“, sagt Boysen. Und Stapelfeld weiß: „Hier oben ist zu wenig Wald, da fühlen sie sich nicht wohl.“ Die Zahlen zeigen das: Während in den südöstlichen Kreisen Schleswig-Holsteins die JägerInnen jährlich Tausende Wildschweine abschießen, sind es in Nordfriesland nur ein Dutzend.

Mit Stimmen der Rechtspopulisten

Aber für Dänemarks Umweltminister Jakob Ellemann-Jensen von der rechts-liberalen Venstre-Partei ist der Plan ein „wichtiger Beschluss“. Die Minderheitsregierung gewann für den Zaun-Bau, der rund zehn Millionen Euro kosten soll, im dänischen Parlament auch die Stimmen der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei und der oppositionellen Sozialdemokraten. Denn für Dänemark hängen „Arbeitsplätze und unser Wohlfahrtsstaat“ von den Schweinen ab, so der Umweltminister laut der Nachrichtenagentur dpa.

Das Land exportiert jährlich Schweinefleisch im Gegenwert von rund vier Milliarden Euro. Diese Ausfuhr wäre bedroht, käme die Pest ins Königreich. Dänemarks Wirtschaft hängt weit stärker von der Landwirtschaft und eben der Schweinezucht ab als etwa Deutschland. Das skandinavische Land exportiert nicht nur in zahlreiche europäische Länder, sondern auch nach Asien. Das soll so bleiben, hofft Stapelfeld: „Wenn dänisches Fleisch nur noch in der EU verkauft wird, käme es zu einem gewaltigen Preisverfall.“ Also muss der Zaun her, als sichtbarer Beleg, dass Dänen alles Menschenmögliche für den Schutz ihrer Ferkel tun.

Der Zaun soll durch eine Region führen, die zurzeit eine echte grüne Grenze ist. Mal verläuft sie in einem Graben neben einer Schafweide, dann markiert ein niedriger Knick, wo die Staaten enden. Wer auf den Straßen im Grenzland unterwegs ist, fährt unbemerkt von hüben nach drüben.

„Böse Zungen behaupten ja, der Zaun solle Flüchtlinge abhalten“, sagt Boysen. Das glaube er selbst aber nicht, fügt der Bioland-Vorsitzende hinzu. Ohnehin: Ein Mensch, der halbwegs gut zu Fuß ist, könnte einen eineinhalb-Meter-Draht vermutlich locker überklettern. Dennoch klingen die Gerüchte irgendwie stimmig. Schließlich vermitteln Grenzkontrollen an den Autobahnen oder ein Zaun im Nichts dieselbe Botschaft: „Fremde, bleibt draußen.“

Seuchenfaktor Mensch

Dabei ließe sich mit den zehn Millionen Euro, die Dänemark für den Zaun ausgeben will, durchaus etwas Sinnvolles gegen ASP tun, meint Wolfgang Stapelfeld: „Nicht hier, sondern in Osteuropa.“ Etwa für mobile Absperrungen, mit denen sich Gebiete um den Fundort eines toten Wildschweins abriegeln ließen. Sinnvoll seien auch Schulungen und Hygienemaßnahmen in den kleinen Ställen, in denen Schweine im Nebenerwerb gehalten werden.

Denn von dort braucht es keine Wildschweine, um den extrem beständigen ASP-Erreger weiter zu transportieren: Er überlebt wochenlang an Schuhsohlen, in den Rillen von Lastwagenreifen oder im viel zitierten weggeworfenen Wurstbrot. Merke: Der größte Seuchefaktor ist der Mensch, nicht das Schwein.

1 Aug 2018

AUTOREN

Esther Geißlinger

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