taz.de -- Protestbewegung in Nicaragua: Daniel Ortega lässt scharf schießen
Die Polizei stürmt die seit Monaten besetzte Autonome Universität in Managua. Zwei oppositionelle Studierende werden per Kopfschuss getötet.
Mit einer Offensive gegen die Autonome Nationaluniversität (UNAN) hat der Konflikt in Nicaragua in der Nacht von Freitag auf Samstag einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Antiaufruhrpolizei, ausgerüstet mit Sturmgewehren und anderem Kriegsgerät, attackierte gemeinsam mit maskierten Paramilitärs den seit zwei Monaten von Studierenden besetzten Campus der Universität in Managua. Die beiden Studenten Gerald Vásquez und Ezequiel Gutiérrez wurden durch Kopfschüsse getötet.
Etwa 200 der Besetzer flüchteten in die nahe gelegene Kirche Divina Misericordia (Göttliche Barmherzigkeit), wo sie vom dortigen Pfarrer Kirchenasyl bekamen. Allerdings, so die lokalen Medien, hätten die Angreifer auch die Kirche die ganze Nacht attackiert und den Abtransport von Schwerverletzten verhindert.
Erst die Intervention des Apostolischen Nuntius Waldemar Sommertag und des Kardinals Leopoldo Brenes beim Präsidenten konnte am folgenden Morgen die Belagerung beenden. In den Krankenhäusern warteten schon Polizisten, um die Verletzten festzunehmen. Die Überlebenden wurden in der Kathedrale wie Helden empfangen.
Der ehemalige sandinistische Bildungsminister und Universitätsprofessor Carlos Tünnermann hatte vergeblich gewarnt: „Wenn die Sicherheitskräfte oder Paramilitärs den Campus gewaltsam einnehmen wollen, verletzt das die Hochschulautonomie.“
Barrikaden – stärkste Waffe der Protestbewegung
[1][Seit drei Monaten lässt] Präsident Daniel Ortega gegen eine immer größer werdende Protestbewegung scharf schießen. Zwischen 350 und 370 Todesopfer werden inzwischen gezählt. Ortega hat einen von den katholischen Bischöfen moderierten nationalen Dialog, der Demokratisierung und eine Vorverlegung der Wahlen bringen sollte, [2][sabotiert.] Aufrufe internationaler Organisationen, die Repression einzustellen, verhallen bislang ungehört.
Auch in anderen Landesteilen wurden Straßensperren gewaltsam geräumt. Die Zahl der Todesopfer und Verletzten ist noch unklar. Barrikaden und Straßensperren sind die wichtigsten Druckmittel, mit denen die Protestbewegung die Abdankung Ortegas und seiner mächtigen Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo durchsetzen will.
Was den Tod von vier Polizisten betrifft, die Tage zuvor im Südosten des Landes getötet wurde, gibt es inzwischen neue Informationen. Sie sollen sich geweigert haben, eine Barrikade mit Gewalt zu räumen, und deswegen von Ortega-treuen Paramilitärs erschossen worden sein. Ihre Leichen weisen Kopfschüsse auf. Die Demonstranten sind in der Regel nur mit Steinschleudern und Feuerwerkskörpern bewaffnet.
Bevölkerung steht hinter dem Generalsteik
Die zunehmende Unzuverlässigkeit der eigenen Truppen dürfte Ortega veranlasst haben, Hilfe aus Kuba anzufordern. Es wurden Gruppen von „Schwarzen Wespen“ gesehen; das sind Elitetruppen der kubanischen Streitkräfte, die schon in Angola eingesetzt wurden.
Ein Generalstreik, zu dem die oppositionelle Bürgerallianz aufgerufen hatte, wurde am Freitag weitgehend eingehalten. Industrieparks, kleine und mittlere Geschäfte, Restaurants und Lokale in der Hauptstadt Managua und den meisten Provinzstädten blieben 24 Stunden geschlossen.
Nur auf einigen Märkten boten Händlerinnen verderbliche Ware an, die sie nicht verlieren wollten. Aus mehreren Städten wurde gemeldet, dass regierungstreue Paramilitärs Geschäftsinhaber mit dem Tode bedrohten, wenn sie ihren Laden nicht aufmachten. Aber auch die Bevölkerung befolgte weitgehend den Aufruf und verzichtete auf Einkäufe.
15 Jul 2018
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