taz.de -- Gastkommentar Özil-Streit: Heimatministerium DFB

Fußball als Ort für Tribunale: DFB-Chef Grindel macht im Streit um Mesut Özil aus seinem Verband eine neurechte Inquisitionskammer.
Bild: Sündenböcke werden zu „Fremden“ gemacht: Mesut Özil

Als Reinhard Grindel mit Fußballpolitik angefangen hat, da spielte Mesut Özil schon seit 16 Jahren Fußball für verschiedene deutsche Clubs. Während Grindel als Bundestags-Hinterbänkler für die CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft kämpfte, holte Özil für seine Heimat Siege in Qualifikationsspielen und einen Weltmeistertitel.

Nun ist Grindel Chef des DFB. Oberlehrerhaft liest der Fußballanfänger Grindel dem Fußballprofi Özil die Leviten: Özil habe seine Fans enttäuscht und müsse sich, „auch in seinem eigenen Interesse“, öffentlich äußern. Weswegen enttäuscht? Wozu äußern? Alles bleibt nebulös, in Kombination mit Hinweisen auf Leistungen des gefallenen Stars aber patriotisch aufgeladen. Nach Oliver Bierhoffs Statement nach dem Muster „Özil – unser Unglück“ war Grindels Tirade kaum unbeabsichtigt.

Dass Özil mit seinem Erdoğan-Foto sich selbst und vielen anderen einen antidemokratischen Bärendienst erwiesen hat, steht außer Frage. Doch die meisten „Fans“, die Özil auf Stadien und auf Twitter rassistisch beschimpften, irritiert nicht, dass der Fußballer sich mit einem Diktator abbildet, sondern, dass er diesen Diktator als „seinen Präsidenten“ bezeichnet. Özils mühsam erarbeitete Zugehörigkeitsvermutung zur „deutschen Volksgemeinschaft“ wird mit Pfiffen einkassiert. Eine Warnung an uns alle – egal, wie gut und fleißig ihr seid, ein einziger Illoyalitätsverdacht – und ihr seid raus!

Spätestens hier sind wir im Heimatministerium DFB angelangt. Während Seehofer sich mit Merkel beschäftigt, übernimmt Grindel die Drecksarbeit und macht aus dem Volksverband DFB eine Inquisitionskammer der Neurechten. Jetzt, wo der „Türke“ Özil den Deutschen keinen Sieg aus Moskau gebracht hat, solle er sich bekennen: entweder zu Deutschland oder schuldig! So klingt die neue Loyalitäten-Diktatur im deutschen Fußball.

Adieu, Fußball als Vorzeigelabor für Vielfalt. Hallo, Fußball als Ort für öffentliche Tribunale und Dolchstoßlegenden. Sündenbockstheorien gehören seit je zu unserer Folklore. Erst recht, wenn wir Sündenböcke zu „Fremden“ machen.

10 Jul 2018

AUTOREN

Sergey Lagodinsky

TAGS

Mesut Özil
Deutscher Fußballbund (DFB)
Reinhard Grindel
Frauen-WM 2019
Fußball
Mesut Özil
Mesut Özil
Mesut Özil
Mesut Özil
Mesut Özil
Schwerpunkt Rassismus
DFB-Präsident
Mesut Özil
Mesut Özil
Frauen-WM 2019

ARTIKEL ZUM THEMA

Krise des DFB: Dreck zu Gold

Eine PR-Agentur soll das Image des DFB retten. Die Zeit drängt: Im September wird über den Austragungsort für die EM 2024 entschieden.

Kommentar Özil und Nationalelf: DFB? Versagt, alle zurücktreten!

Der Rücktritt von Mesut Özil ist nur ein erster Schritt. DFB-Chef Grindel sollte ihm folgen, genau wie Manager Oliver Bierhoff und Trainer Joachim Löw.

Kommentar Rücktritt aus der Nationalelf: Danke, Özil!

Nicht einmal einer der weltbesten Fußballer ist als Deutscher gut genug. Mit dieser Botschaft spricht Mesut Özil leider vielen Migranten aus dem Herzen.

Nach Debatte um Foto mit Erdoğan: Mesut Özil tritt zurück

Mesut Özil verlässt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Er wirft Verbandschef Reihard Grindel und der DFB-Führung Rassismus vor.

Kolumne Press-Schlag: Özil verteidigt sich. Reue ist anders

Mesut Özil verteidigt via Twitter sein Treffen mit Erdoğan. Seine Mutter habe ihm beigebracht, respektvoll zu sein. Aber Mami spielt nicht beim DFB.

Lukaku über Armut und Rassismus: Wenn's gut läuft, bin ich Belgier

Romelu Lukaku ist einer der Top-Spieler der WM. In einem Bericht erzählt er über seine Kindheit in Armut und eine üble Gewohnheit der Presse.

DFB-Präsident Grindel: DFB, Desaster für Ballsport

Mit Reinhard Grindel steht ein Mann an der DFB-Spitze, der entscheidende Fehler gemacht hat. Wie soll da eine Erneuerung gelingen?

Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

Mesut Özil ist an allem schuld, die CSU will den Asylstreit bis zur Landtagswahl durchziehen und künstliche Intelligenz ist fast so doof wie menschliche.

Kommentar Bierhoffs Özil-Kritik: Der Sündenbock des DFB

Erstmals nach dem Aus der DFB-Elf bei der Fußball-WM spricht Manager Oliver Bierhoff über die Gründe – und schießt scharf gegen Mesut Özil.

Özil, Gündoğan und Erdoğan: Wie konnte das bloß passieren?

Ein Bild, ein Shitstorm: Warum haben die Nationalspieler Özil und Gündoğan so gehandelt? Eine Suche nach Antworten in ihrer Heimat, dem Ruhrpott.