taz.de -- Kritik an Aktion von AfD-naher Initiative: Missbrauchte Stolpersteine

Im Netz wurde ein Foto verbreitet, das Stolpersteine mit Namen ermordeter Mädchen zeigt. Der Zentralrat der Juden kritisiert die Aktion.
Bild: Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland

Mainz taz | Als „menschenverachtende Instrumentalisierung von Opfern“ hat der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster ein Foto bezeichnet, das seit Mitte der Woche im Internet verbreitet wird.

Auf dem Bild, das den Titel „Merkels Stolpersteine“ trägt, sind Messingplatten zu sehen, wie sie der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 1992 zum Gedenken an die Opfer der NS-Verbrechen verlegt. Auf dem Foto tragen sie die Namen von Mädchen, die in den letzten Monaten ermordet wurden, darunter die 14-jährige Susanna F. aus Mainz und die 15-jährige Mia V. aus Kandel. Das Foto wird von der AfD-nahen Initiative „Kandel ist überall“ verbreitet.

Der Zentralrat der Juden teile die aufrichtigen und ehrlichen Trauerbekundungen, erklärte Schuster gegenüber der taz. Die Art und Weise, wie Initiativen wie ‚Kandel ist überall‘ agieren, halte er aber für unerträglich. „Sie instrumentalisieren nicht nur die Mordopfer selbst für ihre Hetze gegen Flüchtlinge und Ausländer. Sie scheuen nicht einmal davor zurück, die Shoah zu relativieren, indem sie die Stolpersteine nachahmen.“ Davor müssten Opfer geschützt werden.

Das Foto wird seit Mittwoch getwittert und auf Facebook gepostet, es wird angeboten, es kostenlos als Profilbild zu nutzen. Auch die AfD-Politikerin Christina Baum, Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg, verbreitete es eifrig. Ihr Kommentar: „Frau Merkel, das sind Ihre Stolpersteine. Sie haben unzähliges Leid über unzählige Familien in Deutschland gebracht. Wir werden Sie zur Rechenschaft ziehen.“

Im Netz hagelt es Kritik, es wird von „Hetze“, einer „perfiden Instrumentalisierung der Betroffenen“ und einer „massiven Relativierung des Holocaust“ gesprochen. „Schämt Euch!“ heißt es in einem Kommentar. Einige Facebook-Nutzer haben Strafanzeigen wegen Volksverhetzung und Verunglimpfen des Andenkens Verstorbener gestellt. Das Bild wurde auch der Seite [1][Netzverweis] gemeldet – offensichtlich mit Erfolg. Das Profil der Landtagsabgeordneten Baum ist mittlerweile nicht mehr verfügbar.

Gelassen reagiert der Künstler Gunter Demnig. Er hat schon mehrere Hinweise auf den Missbrauch der Stolpersteine bekommen. Natürlich sei das empörend, sagt er, möglicherweise könne er auch urheberrechtlich dagegen vorgehen. Aber das widerstrebe ihm: „Ich will solchen Leuten keine Bühne geben. Das ist so schlimm, das steht für sich!“

22 Jun 2018

LINKS

[1] https://www.netzverweis.de/

AUTOREN

Marion Mück-Raab

TAGS

Kandel
Schwerpunkt AfD
Josef Schuster
Zentralrat der Juden
Kandel
Kandel
Kandel
Holocaust
Antisemitismus

ARTIKEL ZUM THEMA

Urteil wegen Mordes an Ex-Freundin: Kandel soll zur Ruhe kommen

Der Mord an der 15-jährigen Mia machte die rheinland-pfälzische Stadt Kandel zum rechten Wallfahrtsort. Nach dem Urteil soll das vorbei sein.

Urteil nach Mord in Kandel: Acht Jahre und sechs Monate Haft

Eine 15-Jährige wurde kurz nach Weihnachten in Kandel erstochen. Der Fall löste bundesweit Debatten aus. Jetzt wurde ihr Ex-Freund wegen Mordes verurteilt.

Prozess im Mordfall von Kandel beginnt: Unklarheit über Abdul D.s Alter

Eine Jugendkammer verhandelt den Mord an Mia, weil der Angeklagte sein Alter mit 15 angab. Wäre er älter, würde ihm lebenslänglich drohen.

Gedenken an NS-Opfer: In Serbien war Schluss

Heinz Cassirer fiel nach fast zweijähriger Flucht durch Europa doch den Nazis zum Opfer. Nun werden Stolpersteine für ihn und seine Eltern verlegt.

Merkel zu Antisemitismus in Deutschland: Keine Synagoge ohne Polizeischutz

Antisemitismus bei Zuwanderern werde zunehmend zum Problem, kritisiert eine bedrückte Kanzlerin. Judenfeindlichkeit habe es aber auch vorher gegeben.