taz.de -- Hörbuch „Rotes Bayern“: Mit Musik durch die Revolution 1918
Ein Hörspiel mit viel Musik erklärt die oft vergessene Revolution von München 1918 – eine unterhaltsame Geschichtsstunde.
„Sie müssen sich des amal vorstellen: eine Revolution in Bayern! In München! Von die Roten! 750 Jahre Wittelsbach erledigt! Ruckzuck! Aus, Äpfe, Amen!“ Gisela Schneeberger sagt diesen Satz mit ihrer grantig-resoluten Stimme im Hörspiel „Rotes Bayern“ von Hans Well und Sabeeka Gangjee-Well, das der ehemalige Kopf der Biermöslblasn mit seiner neuen „Band“, den Wellbappn – das sind Well und seine Kinder Sarah, Tabea und Jonas sowie Lukas Berk –, mit viel Musik fast zum Historien-Singspiel werden lässt.
Schneeberger brilliert in ihrer Rolle als Führerin durch die – fiktive – bisher unter Verschluss gehaltene „Abstellkammer der Münchener Revolution 1918/19“, die in den Katakomben des Museums der bayerischen Geschichte verortet ist. Ein erster Seitenhieb Wells auf den Umgang Bayerns mit der Roten Revolution, in der der Sozialist Kurt Eisner am 7. November 1918 zum bayerischen Ministerpräsidenten ernannt wird. Mit der [1][Gründung der ersten Räterepublik] wurde der Grundstein für die Demokratie gelegt, der Achtstundentag und das Frauenwahlrecht wurden eingeführt sowie die Aufsicht der Kirchen über die Schulen und somit die Prügelstrafe abgeschafft.
Das reale Museum der bayerischen Geschichte in Regensburg sollte im November eröffnen, nach einem Brand kann der Termin nicht eingehalten werden. Man darf gespannt sein, wie das Museum mit diesem Teil der eigentlich rühmlichen bayrischen Geschichte umgehend wird, denn sie passt bis heute nicht ins konservative Weltbild der seit über 60 Jahren amtierenden Regierung.
„Es wurde und wird viel Geschichtsklitterung betrieben“, sagt Well. Er habe in seiner Schulzeit nichts über die Räterepubliken erfahren, sie fanden keinen Eingang in die Geschichtsbücher „aus Platzgründen“, wie Schneeberger die Führungsteilnehmer wissen lässt. Und wenn nicht so viele Schriftsteller, die „Zeugen der Vorgänge wurden“, darüber berichtet hätten, „wäre die Strategie des Schweigens vermutlich aufgegangen“, schreibt Well im Booklet, das über die Hintergründe der Revolution aufklärt und Akteure vorstellt.
Die Führung durch das Museum ist die Rahmenhandlung, Schneeberger erläutert Exponate und Personen, die dann sogleich als Zeitzeugen selbst zu Wort kommen – Johanna Bittenbinder, Gert Heidenreich, Heinz-Josef Braun und Bernhard Butz bringen Aussagen von Ernst Toller, Erich Mühsam, dessen Frau Zenzl, Oskar-Maria Graf („Mach ma a Revolution, damit a Ruah is!“) oder Victor Klemperer zum Leben.
In Gstanzlform, mit Dreigesang, balladenartig oder mit zeitgenössischen Liedern der Revolutionäre, aber auch der Rechten, von denen einige in der vom Volksmund modifizierten Form zu hören sind (aus „Ich hatt einen Kameraden“ wird die Hungerparodie „Ich hatt einen Schweinebraten“), erläutern und kommentieren die Wellbappn mit Blasmusik und Bierruhe die historischen Vorgänge.
Einzig die Führungsteilnehmer agieren mit ihren Fragen ein wenig hölzern. Dem Flow der unterhaltsamen Geschichtsstunde tut das keinen Abbruch.
30 Jun 2018
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