taz.de -- Berliner Wohnungspolitik: Besetzen will gelernt sein
Junge Liberale kündigen aus Protest Besetzung der Grünen-Landesgeschäftsstelle an. Am Ende versammeln sich nur 20 Junge Liberale auf der Straße.
Alle diskutieren über Wohnungsleerstand und Hausbesetzungen. Wenn das kein Erfolg ist! Zu verdanken ist das den AktivistInnen der linken Szene, die Pfingstsonntag ein Haus in der Bornsdorfer Straße in Neukölln besetzt hatten. Die Wohnungen in dem Gebäude stehen seit fünf Jahren leer. Seit drei Jahren befindet sich das Haus im Besitz der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land. Nachdem die Polizei das Haus Sonntagnacht geräumt hat, streitet die rot-rot-grüne Koalition über das Thema. Und nicht nur sie.
„Keine Toleranz den Hausbesetzern“, erklärte die Jugendorganisation der FDP (JuLis) und mobilisierte für Donnerstagnachmittag zur Landesgeschäftsstelle der Grünen in Mitte. Der Slogan: „Jetzt wird zurückbesetzt.“ Weil Linke und Grüne Verständnis für die Besetzung der Bornsdorfer Straße gezeigt hätten, wolle man ihnen mit der Aktion nun einen Spiegel vorhalten. Wer ein Haus besetze, verletze Eigentumsrechte. „Für uns JuLis bleibt klar: Hausbesetzer bleiben Straftäter.“ In dem Aufruf, den die JuLis am Mittwoch auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hatten, findet sich aber auch die Forderung: „Statt egoistischer Einverleibung fremden Eigentums brauchen wir endlich einen ambitionierten Wohnungsbau für ganz Berlin.“
Die Grünen reagierten postwendend mit einer Presseerklärung. „Wir freuen uns sehr, dass sich nun auch die Jungen Liberalen gegen unrechtmäßigen spekulativen Leerstand engagieren wollen.“ Bei ihrem ersten Versuch einer Hausbesetzung bräuchten die JuLis aber offensichtlich noch ein wenig Nachhilfe. Lektion 1: „Eine Hausbesetzung kündigt man nicht mit Ort und Uhrzeit an.“ Lektion 2: „Wer Wohnraum schaffen will, sollte keine Büros besetzen.“ Da die Jungen Liberalen wenig Erfahrung im Kampf für niedrige Mieten hätten, gebe man ihnen vor Ort gerne Tipps und Tricks für ihren Protest.
„Wir sind hier, um den Grünen Nachhilfe zu geben“, rief der JuLi-Vorsitzende David Jahn dagegen am Donnerstag ins Megafon. Rund 20 Leute waren zu der Aktion gekommen. „Wohnungsbau statt Eigentumsklau“ stand auf ihren Transparenten. Der Grünen-Landeschef Werner Graf verfolgte das Geschehen vor der Geschäftsstelle vom Liegestuhl aus. Nächste Woche werde sich der rot-rot-grüne Koalitionsausschuss mit dem Thema spekulativer Leerstand und Wohnungsbau beschäftigen, sagte er. Der Druck von der Straße sei hilfreich. Ob Graf damit auch die JuLis meinte, blieb offen.
24 May 2018
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Katrin Lompscher steht in der Kritik. Sie baut zu wenig, so der Vorwurf. Aber Stadtentwicklung heißt für die Senatorin auch, dass sich die Stadtgesellschaft einbringt.
Stadtpolitische Gruppen haben den Senat mit den Hausbesetzungen in Bewegung gebracht. Sie könnten die Politik weiter vor sich hertreiben.
Die Koalition will Besetzungen mit Augenmaß begegnen und bald vielleicht sogar tolerieren. Vorbild ist Zürich. Spekulativer Leerstand soll bekämpft werden.
Die Pfingst-Besetzungen setzen den Berliner Senat unter Druck. Kippt jetzt die Vorgabe, Häuser binnen 24 Stunden zu räumen?
Die CDU pocht im Bauausschuss auf das Grundgesetz, die SPD konstatiert „unterschiedliche Meinungen“ bei R2G und Regierungschef Müller ist sauer auf seine Koalitionspartner
Die konträren Positionen der Koalitionspartner zu Hausbesetzungen sorgen für Zoff bei Rot-Rot-Grün – und für ein Machtwort von Michael Müller.
Die Räumung eines besetzten Hauses schürt den Konflikt zwischen Politik und Bewegung. Bürgermeister Müller sagt: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“
Berlin erlebt die größte Besetzungsaktion seit Langem: Aktivist*innen haben ein seit fünf Jahren leer stehendes Haus in Neukölln übernommen.