taz.de -- Medien über Vorfall in Münster: Anschlag? Amoktat? Todesfahrt?
Früh sprachen JournalistInnen am Samstag von einem „Anschlag in Münster“. Redaktionen korrigierten sich, die ARD sagte einen „Brennpunkt“ ab.
BERLIN taz | „Unsere erste Schlagzeile war definitiv ein Schnellschuss und unbedacht“, [1][twitterte Rainer Leurs] noch am frühen Samstagabend. Leurs leitet die Düsseldorfer Redaktion von [2][RP Online], des digitalen Angebots der Rheinischen Post. Nur wenige Stunden nachdem in Münster [3][zwei Menschen totgefahren] wurden, raunte es in einer [4][Depesche auf Twitter]: „Die ‚RP Online‘ muss da wohl mal etwas dem Presserat erklären“.
RP Online war an diesem Nachmittag früh in die Berichterstattung eingestiegen und schlagzeilte bereits gegen 16.15 Uhr „Anschlag in Münster – drei Tote“. Drei Stunden später und damit ziemlich rasch [5][machte Redaktionsleiter Leurs transparent]: „[Das] haben wir nach wenigen Minuten umformuliert beziehungsweise vorsichtiger formuliert. Unser Fehler.“ Die Redaktion machte fortan deutlich, dass es sich nur möglicherweise um einen Anschlag handelte.
Die Rechercheure des Bündnisses aus NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hatten zwischenzeitlich erklärt: Der Täter sei nach jüngsten Informationen deutscher Staatsbürger und zudem psychisch auffällig. JournalistInnen sind mittlerweile weitgehend von der Vokabel „Anschlag“ abgerückt. Waren also – unter anderen – die JournalistInnen der Rheinischen Post zu voreilig?
Wie in solchen Situationen üblich, rief die Polizei über ihre Social-Media-Kanäle dazu auf, „Spekulationen und Gerüchte“ zu unterlassen. „Fakt ist aber“, [6][rechtfertigte] Leurs die Berichterstattung seiner Redaktion, „unser Reporter hat sehr früh über persönliche Kontakte aus Polizeikreisen erfahren, dass Ermittler [einen] Anschlag für wahrscheinlich halten.“
Außenstehende können diese Quellenlage nur schwer beurteilen, allein: Dieser Darstellung zufolge hat die Polizei am Samstagnachmittag mit mehreren Stimmen gesprochen und so mitunter angeheizt, was sie an anderer Stelle vermeiden wollte: Gerüchte über Terror, auf die rasch auch RechtspopulistInnen ihre vorhersehbaren Botschaften draufsetzten.
ARD-Brennpunkt abgesagt
Dass sich zunächst unter vielen JournalistInnen die Vorstellung durchgesetzt haben muss, auch im lebensfrohen Münster hätten nun Terroristen zugeschlagen, zeigt auch ein anderer Vorgang. Die ARD hatte zunächst einen „Brennpunkt“ angesetzt. Der Programmdirektor des Ersten, Volker Herres, verbreitete entsprechende Programmhinweise persönlich.
Einige Hörfunkwellen meldeten die Programmänderung ebenfalls. Und auch die WDR-„Lokalzeit“ wies noch bei der Übergabe an die 20-Uhr-„Tagesschau“ explizit auf die Sonderprogrammierung im Ersten hin. Nur: Ein „Brennpunkt“ ging nicht über den Sender. Herres hatte seine Tweets bereits wenige Minuten, nachdem er sie abgesetzt hatte, wieder gelöscht – ohne sich mit einem Korrekturhinweis zu erklären.
Einige ZuschauerInnen meldeten sich verwundert, dass sie nun vergeblich auf den angekündigten „Brennpunkt“ gewartet hätten. Herres [7][meldete sich] am Sonntagmorgen mit der Auflösung zurück: „Auf einen Brennpunkt wurde verzichtet, als sich zeigte, dass nach Informationen von SZ, NDR und WDR offenbar kein terroristischer Hintergrund vorlag.“
Gleichwohl: Der „Brennpunkt“ war bereits angeschoben und beim Publikum über diverse Kanäle in Aussicht gestellt worden – im Netz, im Hörfunk, im TV. Münster blieb am Abend eine große Nachrichtenlage und für viele Gesprächsstoff. Facebook aktivierte seine „Bist Du in Sicherheit?“-Funktion und informierte NutzerInnen darüber, welche ihrer sogenannten FreundInnen demnach aus Münster „in Sicherheit“ oder „noch nicht in Sicherheit“ waren.
Programmdirektor Herres aber glaubt offensichtlich nicht, dass sich das Erste da einen allzu schlanken Fuß gemacht hat. Jedenfalls [8][twitterte er auch]: „#Münster. Für die, dies genau wissen wollen. Während des Live-Fußballs wurde in der Halbzeitpause in einer extra-TS informiert.“
8 Apr 2018
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