taz.de -- „Tatort“ aus Köln: Am Ruhepuls der Zeit

Kein Sozialdrama, keine Ermittler am Abgrund. Ja doch, das gibt es noch. Und es funktioniert auch – im „Tatort“ aus Köln.
Bild: Die treuen Dampfschiffe der Sonntagabendunterhaltung: Dietmar Bär (l.) und Klaus Behrendt (r.)

„Mitgehangen“, steht bildschirmfüllend eingeblendet, als die Kölner „Tatort“-Kommissare langsam die Stahltreppe einer Justizvollzugsanstalt emporsteigen. Und dann hängt da wirklich jemand in einer Zelle. Wer das ist, soll sich noch herausstellen.

Rückblende, an einem Baggersee bei Köln: Ein Kran hebt ein Auto aus dem schmutzigen Wasser. Die Feuerwehr hat es zufällig bei einer Tauchübung gefunden, doch neben dem silbernen Golf treibt auch ein herrenloser Unterkiefer. So werden Ballauf (Klaus Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär), die treuen Dampfschiffe der Sonntagabendunterhaltung, zu ihrem 72. „Tatort“-Fall gerufen.

Nach der Bergung stöbern sie im Kofferraum des Pkw auch glatt eine Leiche auf. „Is’ ne Leiche wie immer. Telefon klingelt, zack, nächste Leiche“, zetert der braun gebrannte Ballauf. „5:58, das war meine Bestzeit auf 500 Meter Kraulen“, sagt er noch zu Schenk. Ach so, okay.

Und so sieht man Ballauf permanent durch das Wasserbecken der Kölner Sporthochschule kraulen. Die Polizeiarbeit muss Schenk übernehmen. Der neue Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling) der ihn eigentlich unterstützen sollte, ist nämlich auch beschäftigt – mit seinem Ruhepuls: „Immer schön eines nach dem anderen.“ Und: „Einarbeiten dauert natürlich.“

Familientragödie im Reifenhandel

Drumherum inszeniert Regisseur Sebastian Ko eine Familientragödie im Umfeld eines Reifenhandels. Lavinia Wilson überzeugt als Katrin Grevel, Moritz Grove als ihr Ehemann Matthes. Selbst die Dialoge stimmen. So muss es sich anfühlen, wenn Polizeibeamte ins familiäre Vorzeigeidyll zwischen Blümchenkleid und Blaumann einfallen. Und wenn die Bilder zu unaufgeregt werden, fängt prophezeiende, leicht bedeutungsschwangere Klaviermusik die Stimmung auf. Zwar bleibt der Adrenalinpegel nicht konstant oben, ans Wegschalten denkt man trotzdem nicht.

Ein „Tatort“ ohne Bezug zur aktuellen Tagespolitik oder Ermittler, die am Abgrund balancieren? Ja doch, das gibt es noch. Und es funktioniert auch. In bekannter Manier sorgen zwei ältere Männer in Köln für Recht und Ordnung.

Das Motiv, verantwortungsvoller Familienmensch gegen ewigen Junggesellen, blitzte schon in vorherigen Episoden des Kölner „Tatorts“ auf. In „Mitgehangen“ bekommt es einen neuen, leicht erzwungenen Höhepunkt. Und das polizeiinterne Beziehungsdrama führt sogar so weit, dass die immer wiederkehrende Currywurst alleine genossen wird. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Ein guter Krimi.

18 Mar 2018

AUTOREN

Christopher Kammenhuber

TAGS

Tatort
Köln
Wochenendkrimi
Tatort
Tatort
Tatort
Tatort
Tatort Kiel
Tatort

ARTIKEL ZUM THEMA

„Tatort“ aus Köln: Überfordertes Bewusstsein

Drei verlorene Gestalten im Gegenlicht tanzen in die Unschärfe hinein. Je weniger im Köln-„Tatort“ gesprochen wird, desto besser.

„Tatort“ aus München: Wo die Reichsbürger wohnen

Batic und Leitmayr ermitteln außerhalb des S-Bahn-Bereichs: Nahe der tschechischen Grenze treiben sich Verschwörungstheoretiker herum.

„Tatort“ aus Nürnberg: Wo das Reich gerettet wird

Im Nürnberger „Tatort“ wird es diesmal persönlich. Es geht darum, was passiert, wenn der Zusammenhalt auseinanderbricht.

„Tatort“ aus Ludwigshafen: Fremdschämen beim Impro-Smalltalk

Im Schwarzwaldhof landen Menschenknochen im Abendessen. Für das vielversprechende Szenario fehlt aber das entsprechende Drehbuch.

„Tatort“ aus Kiel: Wenige Menschen, so viel Böses

Die Sünde lauert dort, wo die Landschaft sich als frei und unberührt tarnt: Den Kieler Ermittler Borowski zieht es diesmal auf die Insel Suunholt.

„Tatort“ aus Dortmund: Krimi zum Jetzt-sofort-Weitergucken

Mehrere Häftlinge sterben, als sich der Tollwut-Virus in ein Gefängnis schmuggelt. Sucht da jemand die Aufmerksamkeit der Ermittler?