taz.de -- Kommentar Wahl in Niederachsen: Sieg eines Scheinriesen

Der Erfolg der SPD zeigt, dass links und rechts keine veralteten Kategorien sind. Debatte und Alternativen sind politisch unabdingbar.
Bild: SPD-Parteichef Martin Schulz während des Wahlkampfs in Niedersachsen

Auf den ersten Blick war dies eine typisch bundesrepublikanische Wahl. Wer in Berlin regiert, verliert in den Ländern. So sorgen die Deutschen via Bundesrat dafür, das hierzulande de facto via Vermittlungssausschuss eine ganz große Koalition von CSU bis zur SPD das Sagen hat. Offenbar gehen die WählerInnen davon aus, dass das Bündnis von Union, Grünen und FDP ausgemachte Sache ist.

Natürlich gab es landespolitische Gründe. Die CDU feierte den Übertritt der Grünen Elke Twesten wie einen Lottogewinn. Doch die Gründe für diesen Übertritt waren ganz kleines Karo, die Union unverdiente Gewinnerin des Egotrips einer Gekränkten. So etwas kommt nie gut an.

Im Kern zeigt der Erfolg der SPD, dass harter, klarer Widerstreit nutzt. Chantal Mouffe, der Theoretikerin des Linkspopulismus, hat ja Recht mit der These, dass die Demokratie ohne rechts und links leer dreht. Das Beharren auf den Kategorien links und rechts galt lange als komplett vorgestrig. Modern war das rein pragmatische Regieren, das die Große Koalition unter Angela Merkel zur Perfektion gebracht hat. Und die SPD an den Rand einer Existenzkrise.

Im Schatten dieser großen Harmomie ist die AfD gewachsen. Die Flüchtlinge waren nur der Anlass für deren Erfolg, nicht der Grund. Eine Demokratie ohne Alternativen schafft gefährliche politische Leerräume.

In Niedersachsen sind CDU und SPD noch einigermaßen unterscheidbar. Die letzte Große Koalition regierte zwischen Goslar und Leer vor 50 Jahren. Die CDU repräsentiert traditionell eher das Land und die SPD die Städte. So herrschte hier der Eindruck, dass CDU und SPD nicht bloß leicht anders getönte Varianten des Gleichen sind. Deshalb hat die AfD so bescheiden abgeschnitten. Die Nichtwähler votierten eher für die SPD als für die Rechtspopulisten. Das ist die gute Botschaft dieser Wahl.

Die SPD sollte sich von diesem Erfolg gleichwohl nicht blenden lassen. Er hat viel mit Zufall und dem günstigen Zeitpunkt zu tun. Und: Stephan Weil ist ein Scheinriese – denn wie er aus diesem Erfolg eine Regierung macht, ist unklar. Eine Ampel hat die FDP ausgeschlossen.

Eine Große Koalition in Hannover mag da schon bald als praktischer Ausweg erscheinen. Aber will man wirklich mit dem Schwung der Absage an die Große Koalition in Berlin ein paar Wochen später eine Große Koalition in Hannover schmieden? Mit genau diesem überaus elastischen politischen Stil hat die Sozialdemokratie viele ihrer Anhänger vergrault. Und eine Große Koalition in Hannover würde die Basis ihres Erfolgs wie Rost zerfressen – die Unterscheidbarkeit zwischen SPD und Union.

Weils erklärtes Ziel war es, die Linkspartei unter fünf Prozent zu drücken. Damit hatte die SPD bedauerlicherweise Erfolg und damit eigenhändig die einzige Möglichkeit zerstört, ohne CDU zu regieren. Der Sieg in Hannover mag die SPD ein wenig wärmen. Doch so lange die Partei strategisch derart kurzsichtig handelt und unfähig ist, ein rationales Verhältnis zur Linkspartei zu entwickeln, ist kein Ende ihrer Krise in Sicht.

Am 24. September hat sich die SPD mit hektischem Überschwang aus der Bundesregierung in die Opposition verabschiedete. Nun scheint sie in Hannover achselzuckend eine Große Koalition anzupeilen. Beides passt nicht zusammen. Beides sind Anzeichen, dass der SPD das Wichtigste noch immer fehlt: eine einleuchtende Erzählung, wohin sie politisch will.

16 Oct 2017

AUTOREN

Stefan Reinecke

TAGS

Schwerpunkt Landtagswahlen
Niedersachsen
SPD
CDU
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
SPD
Landtagswahl in Niedersachsen
Landtagswahl in Niedersachsen
Schwerpunkt Landtagswahlen
Landtagswahl in Niedersachsen
Niedersachsen
Niedersachsen

ARTIKEL ZUM THEMA

Postengerangel in der SPD: Missglückte Rochade

SPD-Chef Martin Schulz bringt mit unabgesprochenen Personalentscheidungen Linke und Frauen gegen sich auf. Was heißt das für die SPD und für ihn?

Debatte Sozialdemokratie in Europa: Jetzt hilft nur Radikalität

Die europäische Sozialdemokratie kommt nur mit einer echten Erneuerung wieder auf die Beine. Sie sollte auf eine konsequente Europäisierung setzen.

Kommentar Groko-Liebe der FDP: Von wegen keine Ausschließeritis

Die FDP in Niedersachsen will keine Ampel mit den Grünen, Jamaika ist aber nicht ausgeschlossen. So eine Haltung wirkt extrem unglaubwürdig

Koalitionsträume in Niedersachsen: Gute Grüne, schlechte Grüne

Rot und Grün hoffen auf die FDP. Doch die Liberalen schließen die Ampelkoalition aus – wegen der Grünen. Jamaika wäre für sie aber okay.

Die Niedersachsenwahl und die AfD: Obergrenze für Rechtspopulisten

Die Rechtspopulisten ziehen ins 14. Landesparlament, mit schlechtem Ergebnis. Im Wahlkampf machten sie Schlagzeilen mit internen Streits.

Bundes-SPD nach Niedersachsenwahl: Endlich mal gewonnen

Die SPD hat 2017 alle Wahlen verloren. Der klare Sieg in Hannover stabilisiert Parteichef Martin Schulz. Trotzdem bleibt die Situation eher unschön.

Bestiarium Saxoniae Inferioris: Tierisch lustiges Niedersachsen

Niedersachsen ist groß. Viele Menschen hat es auch. Aber im Verhältnis zur Fläche sind das gar nicht so viele. Tiere dagegen gibt es ohne Ende. Eine Auswahl.

SPD vor der Niedersachsen-Wahl: Zu viele Themen, aber kein Thema

Egal, wie die Landtagswahl in Niedersachsen ausgeht, ihre Krise wird die SPD so schnell nicht los. Wie kann sie ihren Abstieg stoppen?