taz.de -- Kommentar Kataloniens Unabhängigkeit: Dialog als einziger Ausweg

Die Situation in Katalonien spitzt sich zu. Während viele Menschen den Dialog wollen, setzt Spaniens Regierung auf harte Konfrontation.
Bild: Deeskalation ist anderswo

Das spanische Verfassungsgericht [1][verbietet eine Parlamentssitzung] zum Ergebnis der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens – die Katalanen haben jetzt angekündigt, am Montag trotzdem zu tagen. Der Sonderstrafgerichtshof in Madrid lädt den Chef der katalanischen Autonomiepolizei und beschuldigt ihn des Aufstandes. Die Regierung in Madrid bereitet ein Dekret vor, das es Unternehmen erleichtern soll, ihren Hauptsitz von Katalonien ins restliche Spanien zu verlegen. Die Bank Sabadell hat dies bereit getan. Die Caixa, Spaniens größte Sparkasse, könnte heute folgen.

Die Situation in Katalonien spitzt sich zu, nicht zuletzt aufgrund der gewaltigen Drohkulisse, die von der Madrider Zentralregierung aufgebaut wird. Mit drastischen Maßnahmen soll verhindert werden, dass die Region einseitig die Unabhängigkeit erklärt. Ministerpräsident Mariano Rajoy ist zu allem entschlossen, auch wenn dies endgültig die Demokratie kostet. Im Extremfall will er zum Artikel 155 der spanischen Verfassung greifen. Dieser erlaubt es alle Macht direkt von Madrid aus auszuüben und alle katalanischen Institutionen außer Kraft zu setzen, die Region zu besetzen und die Verantwortlichen ins Gefängnis zu stecken – auch den katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont.

Nur eines will Rajoy – anders als Puigdemont – nicht: den Dialog. Zumindest solange die katalanische Regierung nicht auf die Möglichkeit der Unabhängigkeit verzichtet. An Vermittlungsinitiativen fehlt es nicht. Ob Podemos, die Gewerkschaft CCOO, die Kirche, der Anwaltsverein in Katalonien, die baskische Regierung und selbst der FC Barcelona suchen nach Wegen zum Dialog. Und am Samstag werden in ganz Spanien Menschen unter dem Motto [2][#hablamos]? (Übersetzt: Sprechen wir?) auf die Straße gehen.

Rajoy zeigt sich unbeirrt. Er will den Sieg. Doch den wird es nicht geben. Die breite soziale Bewegung für eine katalanische Republik wird nicht einfach wieder verschwinden. Erfahrungen mit anderen Unabhängigkeitsbewegungen zeigen, dass früher oder später nur ein Weg aus dem Dilemma führt: eine Volksabstimmung im beiderseitigen Einverständnis. Entweder ein solches Referendum wird jetzt ausgehandelt – oder später nach langem Konflikt, möglicherweise mit Gewalt und viel Leid.

6 Oct 2017

LINKS

[1] /!5452805
[2] https://twitter.com/hashtag/hablamos

AUTOREN

Reiner Wandler

TAGS

Katalonien
Mariano Rajoy
Spanien
Madrid
Katalonien
Katalonien
Katalonien
Katalonien
Katalonien
Katalonien

ARTIKEL ZUM THEMA

Demos nach dem Katalonien-Referendum: Weiß, die Farbe der Hoffnung

Tausende demonstrieren in ganz Spanien für einen Dialog zwischen der Zentralregierung und den Katalanen. Sie sind weiß gekleidet, ihr Slogan: Sprechen wir?

Katalonien und andere Separatisten: Reiche wollen unter sich bleiben

Unabhängigkeitsbewegungen gibt es derzeit in vielen europäischen Staaten, es drohen neue Konflikte. Viel anzubieten haben sie aber nicht.

Streit um Abspaltung Kataloniens: Spanische Spielchen

Katalonien verschiebt den möglichen Termin einer Unabhängigkeitserklärung erneut. Jetzt machen Einheitsbefürworter mobil.

Streit um Kataloniens Unabhängigkeit: Gericht verbietet Parlamentssitzung

Katalonien wollte am Montag über die Referendumsfolgen beraten. Um eine Unabhängigkeitserklärung zu verhindern, klagten die Sozialisten.

Streit um Kataloniens Unabhängigkeit: Spanien lehnt eine Vermittlung ab

Die spanische Zentralregierung stellt sich gegen eine Einmischung der EU. Katalonien könnte bei einer Sondersitzung am Montag die Unabhängigkeit ausrufen.

Pro&Contra Kataloniens Unabhängigkeit: Ohne Spanien, mit Spanien?

Spaniens Regierung duldet keine Abspaltung, viele Katalanen verlangen Selbstbestimmung. Ein Pro&Contra zur Unabhängigkeit.

Unabhängigkeit Kataloniens: „Nur eine Frage von Tagen“

Der Regionalpräsident kündigt an, die Region in Kürze für unabhängig zu erklären. König Felipe sieht die Stabilität Spaniens gefährdet.