taz.de -- Die Wahrheit: Vereidigte Leberwurst

Verschwundene Politiker: Ex-Bundespräsident Horst Köhler ist jetzt in Berlin-Reinickendorf beleidigt wiederaufgetaucht.
Bild: Der Vulkan ruft. Frau Zeisig aus Detmold fotografiert

Lange war der Sommer zu verregnet, um die Fährte des Verschwundenen aufzunehmen. Jetzt erst, bei trockenem Wetter, sind wir endlich in der Lage, dem nun sichtbar gewordenen Rinnsal seiner Krokodilstränen zu folgen. Die Spur führt, als wollte hier jemand potenzielle Verfolger abschütteln, im Zickzack aus der Stadt heraus, quer übers Land und schließlich wieder in die Stadt hinein.

Sie endet an einer kleinen Pinte im Berliner Bezirk Reinickendorf: „Zur Schmollecke.“ Dort, im hintersten Winkel des Lokals, kaut ein Mann auf einem Leberwurstbrötchen herum: Exbundespräsident Horst Köhler. Fast alle wähnten ihn längst tot, doch wir haben ihn gefunden.

Er sitzt hier vermutlich seit seinem Amtsrücktritt 2010, als sein klares Bekenntnis zum Krieg aus wirtschaftlichen Erwägungen auf harsche Kritik gestoßen war. Dabei hatte er doch nur eine Wahrheit ausgesprochen, die jeder kannte. Warum sollte man denn auch sonst Krieg führen – ja wohl kaum der bunten Orden, der tollen Knallerei oder der leckeren Feldküche wegen.

Vollkommen eingeschnappt trat er auf der Stelle zurück, ein weiteres Beispiel in einer langen Kette von Fällen schnöder Amtsflucht: Philipp Lahm, Papst Benedikt, Graf Stauffenberg – sie alle machten typisch deutsch sofort die Mücke, sobald es auf Arbeit nur im Ansatz unbequem zu werden drohte. Anschließend war er wie vom Erdboden verschluckt. Einmal soll er angeblich noch kurz in Schmollensk gesehen worden sein.

Wir konfrontieren ihn mit seinem letzten Interview, bevor er damals bockig schwieg: „Kanaken, die in irgendeiner Form den Außenhandel behindern: abknallen! Die Bundeswehrmacht muss unsere Zukunft als Exportnation schützen.“

Köhler schmollt. Er droht nun sogar mit einem Rücktritt vom Rücktritt. So habe er das keinesfalls gesagt. Man drehe ihm die Worte im Mund herum und achte die Würde seines Amtes nicht. Dabei ist der exakte Wortlaut doch wirklich piepegal; Hauptsache, der Sinn ist korrekt wiedergegeben. Dieser Mann ist einfach nicht kritikfähig. Wäre er doch für immer in Vergessenheit geraten!

Blass sieht er aus. Wie ein Geist, und noch nicht mal wie sein eigener. Der Deckel vor ihm auf dem klebrigen Tresen ist schraffiert wie ein Stahlstich. Hohl jammert das Gespenst durch die um die frühe Vormittagsstunde bloß noch von zwei anderen kleinkriminellen Rentnern besuchte Kaschemme: „Sehen Sie sich doch nur mal meine Kollegen an: Korruption, Mord, Umweltkriminalität. Mein Nachfolger hat sich mit einer Brezel bestechen und einer meiner Vorgänger zusammen mit anderem Müll im Garten seines Bunkers verbrennen lassen. Da kann ich ja wohl noch beleidigt sein? Und überhaupt habe ich das schon alles Ihrer Frau Schmollack erzählt.“ Er weint vor ohnmächtiger Wut.

Vom Trubel aufgeschreckt, eilt der Wirt herbei. „Pfoten weg von mei’m Hotte!“ Er droht mit einem abgebrochen Stuhlbein. Eilig bezahlen wir unsere sieben Limo Korn und lassen Horst Köhler in der „Schmollecke“ zurück. Dieses Mal endgültig.

20 Sep 2017

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Uli Hannemann

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