taz.de -- Opfer der vorgezogenen Neuwahlen: CDU bremst Patientenschutz aus

Mit einer Novelle des Krankenhausgesetzes wollte Niedersachsen Lehren aus den Klinik-Morden in Delmenhorst ziehen. Jetzt fällt es den Neuwahlen zum Opfer
Bild: Krankenhaus-Patienten in Niedersachsen bleiben erst einmal allein.

BREMEN taz | Tote, lauter Tote. Während noch die neueste Opferzahl des Delmenhorster Todespflegers für Diskussionen sorgt und der Abschlussbericht der polizeilichen Sonderkommission zu Niels Högels Jahrhundertverbrechen diskutiert wird, droht in Niedersachsen die Novelle des Krankenhausgesetzes zu scheitern. Gestern warnte die Apothekerkammer in Hannover davor, mit dem Gesetzentwurf auch den Plan zu begraben, flächendeckend und verbindlich StationsapothekerInnen einzustellen.

Die sieht der Entwurf vor, den Gesundheitsministerin Cornelia Rundt im März in den Landtag eingebracht hatte. „Eine wirtschaftlich effektive und gleichzeitig sichere Arzneimitteltherapie kann nur erreicht werden, wenn Apotheker über die Arzneimittel-Logistik hinaus mit den Ärzten und Pflegekräften im Team zusammenarbeiten“, so Kammerpräsidentin Magdalene Linz.

Zielsetzung: Mehr Patientensicherheit

Mit der Gesetzesänderung sollte auf die Mordserie reagiert werden. Ein Sonderausschuss des Landtags hatte schon im Juni 2016 einvernehmlich den Arbeitsauftrag ans Ministerium formuliert. Zielsetzung: die Patientensicherheit in den Krankenhäusern stärken (taz berichtete). Einvernehmlich hatte der Ausschuss sogar ein Maßnahmenbündel definiert: die Einrichtung von Arzneimittelkommissionen, eines Whistleblower-Systems, von Mortalitätskonferenzen – und eben die Einstellung von StationsapothekerInnen hätten durch Gesetz vorgeschrieben werden sollen.

Nach der ersten Lesung im Landtag war es im Fachausschuss beraten worden. Doch jetzt ist Funkstille: Zwar könnte auch der aufgelöste Landtag die Regelung beschließen. Aber er wird es nicht. Ursache ist laut SPD-Gesundheitspolitiker Uwe Schwarz eine „Blockadepolitik“, die zumal von der CDU „zum Nachteil von Patienten und Pflegepersonal“ betrieben werde.

Denn die Union will gar nicht mehr, die FDP erst nach der Wahl über das Vorhaben beraten. Unverantwortlich nennt Schwarz das, nichts habe die Opposition offenbar aus den Klinikmorden gelernt. Stattdessen würde sie die „Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit verschleppen“. Denn, so Schwarz zur taz, „wir hatten eine Expertenanhörung, deren Ergebnisse sind eingearbeitet – der Entwurf war beschlussfähig“.

Knackpunkt Apothekerfrage

Dem widerspricht Sylvia Bruns, Gesundheitspolitikerin der Landtags-FDP: „Es gab noch Klärungsbedarf.“ Inhaltlich habe sie das Whistleblower-System für problematisch gehalten. Der Knackpunkt aber sei die Apothekerfrage gewesen: „Hier war die Finanzierung noch nicht geklärt“, so Bruns. Man könne die nicht beschließen, ohne die nötigen Gelder bereitzustellen.

Tatsächlich trägt der Entwurf den Kliniken auf, die durch die „Umsetzung entstehenden zusätzlichen Kosten aus den Erlösen aus Pflegesätzen zu refinanzieren“. Sprich: umzuschichten. „Ob das der Patientensicherheit dient, bezweifle ich“, sagt Helge Engelke, Verbandsdirektor der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG).

Es geht um 8,2 Millionen Euro landesweit: Das klingt nach viel. Die machen indes nur 0,1 Prozent der jährlichen Gesamtkosten aus – nicht zu viel, um sich internationalen Standards anzunähern, findet der Grünen-Gesundheitspolitiker Thomas Schremmer. Zudem trügen Stationsapotheker „nachweislich auch zur Senkung der Arzneimittelausgaben im Krankenhaus bei“. So gelten die durch Medikationsfehler verursachten Kosten als hoch – und schwer kalkulierbar: Eine von der EU-Kommission beauftragte Studie schätzt den Betrag für das Jahr 2016 auf zwischen 294 und 5.689 Euro pro Patient.

Ein Apotheker für 300 Betten

NKG-Chef Engelke hält trotzdem das Scheitern der Novelle „eher für eine Chance, das Gesetz in offener Diskussion mitzugestalten“. Man sei ja „gar nicht gegen die Einführung von Stationsapothekern“. Nur wären die Vorgaben schlicht nicht zu erfüllen, schon aufgrund des Fachkräftemangels: Vorgesehen ist, dass ein Vollzeitapotheker pro 300 Betten einzustellen wäre. „Dann bräuchten wir auf einen Schlag 160 Krankenhausapotheker“, so Engelke. „Die gibt es aber nicht.“

In Niedersachsen bildet nur die TU Braunschweig PharmazeutInnen aus, es gibt 77 Studienplätze pro Semester. Es müsste sich also ein ganzer Jahrgang auf Krankenhausapotheke spezialisieren. „Das ist komplett unrealistisch“, sagt Engelke.

Dem widersprechen die Apotheker: „Mit einer komfortablen Übergangsfrist“ gehe die Vorgabe einher, so der pharmazeutische Geschäftsführer der Kammer, Frank Dombeck. Drei Jahre räumt der Entwurf den Kliniken ein, die Zielzahl zu erreichen. Der Stationsapotheker sei „ein wesentlicher Qualitätsfaktor in der Patientenversorgung“.

30 Aug 2017

AUTOREN

Benno Schirrmeister

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