taz.de -- Rassismus im englischen Frauenfußball: Hinter verschlossenen Türen
Die englische Stürmerin Eniola Aluko erhebt schwere Vorwürfe gegen Nationaltrainer Mark Sampson. Er soll schwarze Spielerinnen diskriminieren.
Es war ein letztes Zeichen von Zusammenhalt, das Mark Sampson vor knapp drei Wochen im stimmungsvollen Stadion des FC Twente aussenden wollte. Ganz Enschede schien sich nach dem Halbfinale der Frauenfußball-Europameisterschaft an einer Großtat des Gastgebers Niederlande zu berauschen, als Englands Nationaltrainer die Seinen im Kreis zusammenrief. Trotz der 0:3-Niederlage sprach der 34-Jährige von einem tollen Turnier und einer blendenden Zukunft.
Das geschlagene Team England hatte tatsächlich mit einem klaren Konzept überzeugt, Stürmerin Jodie Taylor erhielt noch den Preis als beste Torschützin, und die Richtung stimmte ja auch: Die „Lionesses“ sind in der Weltspitze des Frauenfußballs angekommen. Aber im Nachhinein stehen Fragen im Raum: Mit welchen Mitteln? Und um welchen Preis?
Die ehemalige Nationalstürmerin Eniola Aluko hat bei der BBC und [1][im Guardian schwere Vorwürfe erhoben]. Es geht um Mobbing, Diskriminierung und Rassismus. Immer wieder habe sich der Nationaltrainer herabwürdigend verhalten und einmal eine dunkelhäutige Spielerin in einer Besprechung beleidigt, sie habe bereits „viermal im Gefängnis“ gesessen.
Die aus dem nigerianischen Lagos stammende Stürmerin nahm diesen Vorfall im Vorjahr zum Anlass, ihre Football Association (FA) zu informieren, die vertrauliche Untersuchungen einleiten wollte. Aluko ging zu diesem Zeitpunkt nicht an die Öffentlichkeit.
Eine Woche später, im Mai 2016, sei Sampson auf dem Chelsea-Gelände erschienen und habe ihr „unlioness behaviour“, unehrenhaftes Verhalten, vorgeworfen.
Rauswurf nach 102 Länderspielen und 33 Toren. Der zeitliche Zusammenhang sei kein Zufall gewesen, behauptet sie jetzt mit Nachdruck. Auch für die EM 2017 spielte die Torschützenkönigin der Women’s Super League (WSL) 2016 keine Rolle. Eine weiterer Vorfall ereignete sich vor dem Freundschaftsspiel gegen Deutschland im Herbst 2014, als Akulo ihre Familie aus Nigeria ins Wembley-Stadion einlud. Ihr Trainer soll daraufhin entgegnet haben: „Dann sorge dafür, dass sie ohne Ebola hierherkommen.“ Sie sei so geschockt gewesen, dass „ich nicht wusste, was ich sagen sollte“.
Sampson bestreitet den Dialog. Die ausgebildete Anwältin Aluko, die nach ihren Angaben auch auf Druck der FA ihren Job bei einer Spieleragentur beenden musste, ist nicht irgendwer: Bereits mit 17 debütierte Aluko im englischen Nationalteam, nahm an zwei Weltmeisterschaften, drei Europameisterschaften und den Olympischen Spielen 2012 teil. Für die FA sollte sie als Frauenfußball-Ikone auftreten und in Antirassismuskampagnen die Kultur des englischen Fußballs nach außen tragen. Davon zeugt der Schriftverkehr mit dem FA-Direktor Dan Ashworth.
Englands Verband spielt eine zwielichtige Rolle in einer verworrenen Causa: Der ausgebooteten Nationalspielerin wurden nämlich 80.000 Pfund gezahlt, damit sie vor der diesjährigen EM keine arbeitsgerichtlichen Schritte einleitet und die Vorbereitung des englischen Nationalteams stört. Aluko erklärt, sie habe das Geld angenommen, weil es sich ungefähr um die erwartete Entschädigung gehandelt habe. Beide Seiten bestreiten, dass es sich um ein Schweigegeld handele.
Doppelmoral bei rassistischen Vorfällen
Aluko schildert im Guardian ausführlich ihren Gefühlszustand. „Es ist schlimm, absolut schrecklich. Ich schlafe nachts nicht gut.“ Und sie prangert unverhohlen die Doppelmoral an: „Auf dem Feld gibt es klare Strafen, wenn es zu rassistischen Vorfällen kommt.“ Anders sei es hinter verschlossenen Türen: „Rassismus ist aus unterschiedlichen Gründen ein Tabu, über das am liebsten niemand sprechen will.“
Sie unterstellt, weitere dunkelhäutige Spielerinnen – namentlich Lianne Sanderson, Anita Asante oder Danielle Carter – seien fürs Nationalteam nicht mehr nominiert worden. Die Frage ist nun, wie die Affäre der Nationaltrainer Sampson übersteht, der im englischen Frauenfußball sportlich viel bewirkt hat.
Der charismatische Coach gilt als so erfolgsbesessen, dass er nicht nur an der Seitenlinie alles rausreizt. Er wirkt gewieft wie gerissen, stichelt und eckt an – mit im Frauenfußball (noch) nicht so weit verbreiteten Methoden. Aluko berichtet von einem angsterfüllten Arbeitsklima. „Ich habe lange geschwiegen. Aber es gibt so viele Gerüchte, dass ich die Wahrheit sagen muss.“
22 Aug 2017
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