taz.de -- Kolumne Liebeserklärung: Bei MTV sagten alle „fuck“
Der Musiksender vernetzte uns mit der Popwelt, war unser Internet ohne Kommentarfunktion. 2018 kommt er zurück ins Free-TV.
Durch den Türspalt spähe ich in das Zimmer meiner Cousine. Sie ist dreizehn, ich bin acht. Mit zerzausten Haaren hockt sie auf dem Boden vor dem Fernseher, nickt mit dem Kopf zu Kurt Cobains Gitarre. Später wird sie sich die Haare zusammenbinden und mit Mariah Carey tanzen.
Jedes Mal, wenn ich einen Schritt über die Türschwelle setze, schreit sie: „Verpiss dich! Das ist mein Zimmer!“ Dabei interessiert mich ihr miefiges Zimmer überhaupt nicht. Alles, was ich will, ist MTV.
Wer in den neunziger Jahren mit Pop in Berührung kam, für den führte am Musikfernsehen kein Weg vorbei. Körper, Outfits, Datingshows, Rapper-Villen, Choreografien, Unplugged-Konzerte, „Fuck!“, „Fuck!“, „Fuck!“: MTV war die Verbindung zwischen dem, wo man nicht sein wollte (zu Hause) und dort, wo alles aufregend und cool und erlaubt war (überall sonst) – quasi unser Internet ohne Kommentarfunktion.
Wer MTV schaute, war Teil von etwas, kannte die neuesten Hits auswendig und konnte ziemlich gut auf Englisch fluchen (dank US-Realitysendungen mit deutschen Untertiteln.)
Mit dem Erscheinen von Videoplattformen wie YouTube und Vimeo, auf denen man nicht mehr stundenlang auf den Lieblingskünstler warten musste, sondern ihn direkt anklicken konnte, verlor der 1981 erstmals in den USA ausgestrahlte Musiksender dann zunehmend an Bedeutung.
Der deutsche Ableger MTV Germany, der 1997 auf Sendung ging, verabschiedete sich dann 2011 ins Pay-TV mit dem verzweifelten Versuch, wenigstens dort ein bisschen Kohle zu verdienen. 2015 wurde MTV Germany dann ganz eingestellt. Nun kommt der Sender 2018 zurück, ins Free-TV. Um den „Zeitgeist der jungen Zielgruppe“ aufzugreifen, so die Produktionsfirma Viacom International Media Networks.
Ob die junge Zielgruppe sich vor dem Free-TV herumtreibt, und wenn ja, ob sie auf linear kuratierte Clips steht, sei mal dahingestellt. Aber für Nostalgiker der nicht mehr ganz so jungen MTV-Generation ist dieses Comeback ähnlich tröstlich wie der Hype um Relikte wie VHS und Discman: Kein Mensch braucht es mehr. Aber schön, dass es nicht für immer verloren ist.
20 Aug 2017
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