taz.de -- Die Wahrheit: Bürgerlicher Albtraum

Ich war Frau Twesten. Jedenfalls im Schlaf. Und da begegneten mir seltsame Wesen: ein Weil, eine Göring-Eckardt, eine Furtwängler – der wahre Horror.
Bild: Sehen die sonst so abgeklärten Finnen ein schillerndes Nordlicht wie in Lappland, können sie gar nicht mehr an sich halten

Ich hatte einen ganz komischen Traum. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, nur noch daran: Ich war Frau Twesten. Ich weiß nicht, was ich als Frau Twesten gemacht habe, aber ich war sie. War das jetzt schon ein Albtraum? Sie hat ja nicht viel gemacht, sie hat nur eine Regierung gestürzt. Und auch nur die von Niedersachsen.

Der letzte nennenswerte Regierungsumsturzversuch war in der Türkei, und man weiß ja, wie sich Erdoğan danach benommen hat. Da hat Frau Twesten schon sehr viel Glück gehabt, dass sie Stephan Weil als Ministerpräsidenten hatte und nicht Erdoğan. Der Weil wirkt ja irgendwie ganz ruhig und besonnen. Man hätte auch ganz anders reagieren können.

Katrin Göring-Eckardt hat angeblich noch nicht mal den Hörer abgenommen, als die Fraktionsvorsitzende der niedersächsischen Grünen anrief, um mit der Bundestagsspitzenkandidatin zu reden. Dabei würden gerade Frau Twesten und Katrin Göring-Eckardt gut zusammen passen. Wegen der bürgerlichen Grundstruktur, die beide eint, und weil Frau Twesten – die im Traum ja ich war – bei den Grünen noch nicht genug bürgerliche Grundstruktur hatte durchsetzen können, da noch immer ein paar Spinner und Verträumte von der „Basis“ so „Ideen“ haben, die zum Teil nicht mit dieser Grundstruktur übereingehen.

Komisch eigentlich, die bürgerliche Grundstruktur haben doch auch die Katrin und der Cem – oder die SPD. Frau Twesten hätte einfach zu den Sozialdemokraten wechseln können, dann wär nicht gleich die Regierung geplatzt und sie – also ich – hätte trotzdem die Fraktion gewechselt.

Das ist ja genau die Sache: Man kann verstehen, dass Frau Twesten kurz sauer war, nicht wieder Spitzenkandidatin für Rotenburg/Wümme geworden zu sein, aber ein politisches Amt ist nun mal kein Platz in der Abo-Reihe im Theater.

Erst dachte ich, die Twesten wusste ganz genau, was sie da tat, aber seit meinem Traum, in dem ich Frau Twesten war, kann ich mir vorstellen, dass die gar nicht begriffen hat, was sie da anrichtete. Das wäre dann aber wiederum fies von der niedersächsischen CDU gewesen. Wenn ich noch immer Frau Twesten wäre, wäre ich jetzt sehr sauer auf die Konservativen. Dass eine Partei schlecht mit ihren Spitzenleuten umgeht, weiß man ja, aber eine Partei, die so etwas macht, noch bevor man Mitglied wird, ist der größte Saustall.

Jetzt weiß ich auch wieder, was ich als Frau Twesten in meinem Traum gemacht habe: Ich betrat die CDU-Zentrale in Niedersachsen, hatte einen kleinen Blackout und dann legte mir Maria Furtwängler als Kommissarin Charlotte Lindholm Handschellen an und las mir meine Rechte vor. Schließlich sagte die „Tatort“-Kommissarin, das sei aber eine ganz erstaunliche Tat für jemanden mit solch bürgerlicher Grundstruktur, und ich müsse jetzt sehr lange ins Gefängnis. Ich weiß zwar nicht mehr, warum – es war ja ein Traum –, aber als Frau Twesten fühlte ich mich endlich befreit. Besonders von meiner bürgerlichen Grundstruktur.

18 Aug 2017

AUTOREN

Gieseking

TAGS

Elke Twesten
Niedersachsen
Bündnis 90/Die Grünen
Folk
Eltern
Finnland
Kommunikation
Finnland
Kassel

ARTIKEL ZUM THEMA

Die Wahrheit: Liedgut auf der Hippieinsel

Die letzte Nische der Althippies auf Gomera scheint bedroht. Doch die Zausel feiern unentwegt weiter beim Sonnenuntergang mit lässiger Musik.

Die Wahrheit: Zurück in Ostwestfalen

Die alt gewordenen Eltern brauchen Unterstützung. Das bedeutet, nach dreißig Jahren in die Gegend zurückzuziehen, aus der man kommt.

Die Wahrheit: Onnea satavuotiaalle Suomelle

Herzlichen Glückwunsch, Suomi. Finnland feiert seinen 100. Geburtstag. Ein Rundblick über ein Land der stillen Merkwürdigkeiten.

Die Wahrheit: Zum Verwechseln ehrlich

Durchs Leben gegangen wird heutzutage mit der absoluten Deutungshoheit von Diktatoren. Dank Google und Navi erkennen wir nichts mehr. ​

Die Wahrheit: In der Sommersauna

Endlich wieder zu Besuch in Finnland. Und ab ins Dampfbad um die Ecke. Wo ein Aufguss nach dem anderen einem alles wegbrennt …

Die Wahrheit: Ein Kassel Buntes

Irgendwas mit Kunst: Mit Documenta und Caricatura bringt die Hessenmetropole ab heute ihren nordstädtischen Charme in die weite Welt.