taz.de -- Ehe für alle: Sie wollen „endlich stinknormal“ sein

Lange haben Judith und Vera Steinbeck um die gleichen Sorgerechte für ihre Kinder gekämpft. Jetzt lässt sie die Ehe für alle aufatmen.
Bild: Endlich stinknormal glücklich: das zukünftige Ehepaar Steinbeck

Köln taz | Ein Strauß roter und weißer Rosen steht auf dem Küchentisch bei Steinbecks in Bergisch-Gladbach. „Ich hab meiner Frau gestern einen Heiratsantrag gemacht und sie hat Ja gesagt“, erzählt Judith Steinbeck mit Blick auf die Blumen. Sie lächelt ihre Lebenspartnerin Vera an. Die beiden Frauen sind seit Jahrzehnten ein Paar und leben seit 2001 in eingetragener Lebenspartnerschaft.

Warum also nun der Heiratsantrag? Verpartnert sei nicht verheiratet, sagt Judith Steinbeck. Nur die „Ehe für alle“ bringe ihnen Rechtssicherheit, der Schutz der Ehe sei schließlich im Grundgesetz festgeschrieben. Die eingetragene Lebenspartnerschaft dagegen ist ein zerbrechliches Rechtskonstrukt, erklärt Vera Steinbeck: „Der Bundestag hätte die Homo-Ehe mit einer einfachen Mehrheit jederzeit kippen können.“ So geschehen etwa in Australien durch das Oberste Gericht des Landes.

Anfang zwanzig waren sie, als sie sich in Köln kennenlernten, damals noch in der Ausbildung zu Heilpraktikerinnen. Später studierten sie Psychologie. Von Anfang an wollten sie, was für viele Lesben damals undenkbar war: eine Familie gründen. „Wir Lesben waren ja praktisch unsichtbar in der Gesellschaft“, erzählt Judith.

Viele ihrer Kommilitoninnen gingen bürgerliche Ehen ein, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Judith hingegen ging auf die Straße, schloss sich der Gay Liberation Front an, demonstrierte für Gleichberechtigung in der Kölner Innenstadt, in einer Zeit des Aufbruchs Anfang der achtziger Jahre. Wäre eine heterosexuelle Scheinexistenz denn eine Option für sie gewesen? „Niemals.“ Und doch sollte auch Judith Steinbeck Kompromisse eingehen müssen wegen der Rechtslage.

Verpartnert ist nicht verheiratet

Vor siebzehn Jahren nämlich adoptierte sie ihre Tochter Kim in Vietnam – als Einzelperson. Dies, obwohl sie damals schon lange mit Vera zusammenlebte, was dem Jugendamt auch bekannt war, das die Auslandadoption vermittelt hatte. Doch eine gemeinsame Adoption war (bis gestern) rechtlich nicht möglich, selbst nach ihrer Verpartnerung nicht.

Für die Steinbecks bedeutete dies, dass sie über viele Jahre als Familie nicht abgesichert waren. Wäre Judith etwas zugestoßen, wäre nicht geregelt gewesen, ob Tochter Kim bei Vera hätte bleiben können. Zwar hatte Vera durch die Verpartnerung ein kleines Sorgerecht, konnte über Alltägliches, nicht aber über schwer wiegende Dinge entscheiden.

Und auch im Fall einer Trennung hätte Vera keinerlei Ansprüche geltend machen können für die Tochter, die sie mit aufzog. Das sind Was-wäre-wenn-Gedanken, die ihr unerträglich waren: „Ich habe versucht, das so gut wie möglich im Alltag zu verdrängen – sonst hätte ich das nicht ausgehalten.“

Wegen dieser Situation entschieden sich die Steinbecks gegen eine weitere Adoption und stattdessen für eine Samenspende aus dem Ausland.

Absurdes Sorgerecht

Sie hatten Glück, es klappte auf Anhieb. Vor zehn Jahren brachte Vera Sohn Nils zur Welt. Zu dem Zeitpunkt hatten Homosexuelle bereits das Recht auf Stiefkindadoption erstritten, Judith hätte Nils auf diese Weise sofort annehmen können. Ihre Tochter aber hätte auf dem Papier weiterhin nur einen Elternteil gehabt.

Zwei unterschiedliche Sorgerechtsregelungen für eine Familie? Das erschien den Steinbecks dann doch so absurd, dass sie lieber abwarteten. Es sollte Jahre dauern, bis sie schließlich im Frühjahr des Jahres 2014 infolge der Sukzessivadoption vom Familiengericht voll umfassende Sorgerechte für ihre beiden Kinder zugestanden bekamen.

Und jetzt die „Ehe für alle“. Die ganze Woche war Merkels Kehrtwende Dauerthema am Küchentisch bei Steinbecks. Gestern Nachmittag knallten dann die Sektkorken. Das Unvorstellbare sei eingetreten, sagt Judith Steinbeck: „Wir dachten immer, es braucht drei Generationen bis zur Gleichstellung.“ Endlich seien sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Wie eklig, ein Mann und eine Frau

Ihre Tochter, die 17-jährige Kim, kommt in die Küche, schwarze Jogginghose, Flipflops und schaut ein bisschen genervt. Sie zückt ihr Handy, darauf ein Video, das gerade auf Facebook kursiert. Darin wird ein Hetero-Pärchen mit den gleichen Bemerkungen konfrontiert, mit denen Homos bis heute kämpfen, so nach dem Motto: Oh wie eklig, ein Mann und eine Frau, die sich küssen. Oder: Wie komisch, das Kind hat einen Vater und eine Mutter. „Über 29 Millionen Menschen haben es angesehen“, meint Kim.

Ihr Bruder Nils, ein aufgeweckter Junge, kennt blöde Kommentare zur Genüge. Als er in die Grundschule kam, beschimpften ihn Mitschüler als „Schwuli“. Nur einmal fragte ein Klassenkamerad, warum er zwei Mütter und keinen Vater habe. Gerade mal sieben Jahre alt, erklärte ihm Nils, dass er mit Hilfe einer Samenbank gezeugt worden ist. Seitdem ist Ruhe.

Vera streicht ihrem Sohn über die Haare. Die Steinbecks haben stets versucht, ihre Kinder stark zu machen gegen Anfeindungen. Sie hatten immer das Gefühl, ein bisschen besser sein zu müssen als die normalen, die Hetero-Eltern. Das wird sich ändern, sind die beiden Frauen überzeugt: Mit der „Ehe für alle“ werde auch ihr Leben „endlich stinknormal“.

1 Jul 2017

AUTOREN

Claudia Hennen

TAGS

Ehe für alle
Gleichstellung
Sorgerecht
Schwerpunkt LGBTQIA
Kinderwunsch
Persönlichkeitsrecht
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Kinder
Ehe für alle
Ehe für alle
Ehe für alle
FAZ
Lesestück Meinung und Analyse
Ehe für alle

ARTIKEL ZUM THEMA

Hamburg verweigert Kostenerstattung: Kostbarer Kinderwunsch

Hamburg lässt ungewollt Kinderlose mit den Behandlungskosten allein, anders als etwa Niedersachsen. Die FDP will das ändern

Jens Riewa gegen Queer.de: #NoHomo

Mit den Klagen gegen die Andeutungen über seine sexuelle Orientierung beweist Jens Riewa vor allem eins: seine Homofeindlichkeit.

Debatte CSD und „Ehe für alle“: Die schiere Existenz hilft

Die „Ehe für alle“ ist beschlossen – braucht es dann noch den Christopher Street Day? Natürlich! Und noch viel mehr davon.

Abstammungsrecht in Deutschland: 91 Thesen für Neuregelung

Sachverständige legen ihren Bericht zur Reform des Abstammungsrechts vor. Sie fordern mehr Rechte für genetische Väter und lesbische Paare.

Nach der Abstimmung im Bundestag: Gegenwind für die Ehe für alle

Die AfD prüft, ob sie wegen der Ehe für alle vor Gericht ziehen kann. CDU-Innenminister de Maizière räumt einer Verfassungsbeschwerde Chancen ein.

Der Kampf um die Ehe für alle: Ein Happy End

Die Öffnung der Ehe: Der Grüne Volker Beck hat fast 30 Jahre lang dafür gekämpft, der Merkel-Fan Ulli Köppe nur eine Woche.

Kommentar Öffnung der Ehe: Ehe für alle, Ehe für keinen

In einem konservativen Club mitmachen zu dürfen, ist nicht nur Grund für ausgelassenen Jubel. Es gibt genug Kritik am Institut der Ehe.

Homophober Kommentar in der „FAZ“: Schlüpfrigkeit und Aberglauben

Das bürgerliche Zentralorgan nimmt die Ehe für alle zum Anlass für abwegige Hetze. Dabei war das Blatt nicht immer so reaktionär.

Kommentar Ehe für alle: Was für ein herrlicher Tag!

Eine Bundestagsmehrheit beendet das wichtigste heterosexuelle Privileg – und das nach einer großartig smarten Debatte.

Bundestag beschließt Ehe für alle: 393 Ja-Worte

Fraktionsübergreifend verabschiedet der Bundestag das Gesetz zur Öffnung der Ehe. Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmt dagegen.