taz.de -- Debatte G20 und der Rest der Welt: Neustart erforderlich

Die G20-Staaten maßen sich an, für den ganzen Planeten zu sprechen. Sie sollten lieber im Rahmen der UNO in den Wettbewerb mit allen anderen treten.
Bild: Die G20 müssen die Kritik ernst nehmen – Protest am Samstag in Hamburg

Die Abschlusserklärung der G20 zeigt, wie stark sich diese Staatengruppe für immer mehr Themen und Fragen zuständig erklärt, selbst für einen Kontinent, der kaum vertreten ist: Afrika. Das Mandat für die Weltthemen geben sich die G20 selbst. Selbstlegitimiert durch die Tatsache, dass sie den Großteil des Planeten vertreten, zumindest 60 Prozent der Bevölkerung und 80 Prozent der Wirtschaftskraft.

Wann werden die G20 den letzten Schritt vollziehen und sich gleich als Gegenentwurf zu den Vereinten Nationen verstehen? Schon versuchen Kommentatoren, zu belegen, dass die G20 in ihren zehn Jahren wichtigere Vereinbarungen getroffen haben als die Vereinten Nationen in den 70 Jahren ihres Bestehens. Stärken demnach die G20-Gipfel den multilateralen Zusammenhalt der Welt, entschärfen Krisen, lösen Probleme und verringern Ungerechtigkeit und beseitigen Armut und Hunger? Sind die G20 alternativlos oder doch nur harmlos?

Betrachtet man nur die Abschlusserklärung des Gipfels, können die Nichtregierungsorganisationen gar nicht so unzufrieden sein. Für alle ist etwas dabei, auch so wird keiner zurückgelassen. Von Geschlechtergerechtigkeit bis zu fairem Handel finden alle Themen Erwähnung, die auch den Nichtregierungsorganisationen am Herzen liegen.

Nicht alles ist im Sinne unserer Forderungen, aber manchmal gibt es erstaunliche Aussagen, bedenkt man, welche Regierungen an G20 teilnehmen. Nur zur verbindlichen Umsetzung der Menschenrechte in den G20-Ländern selbst steht nichts im Abschlussdokument.

Auch wenn sich die „Mächtigen“ nur sehr bedingt an die G20-Beschlüsse halten werden, sind manche Sätze aus der Abschlusserklärung für die Zivilgesellschaften eine gute Grundlage, um die Erfüllung in den eigenen Ländern anzumahnen. Zumindest dort, wo halbwegs öffentliche Debatten möglich sind. Frei nach dem Motto: „Was habt ihr denn im fernen Hamburg beschlossen, wieso gilt es in Neu-Delhi, Beijing, Canberra oder Tokio dann nicht mehr?“ In Riad wird wahrscheinlich niemand fragen.

Da sich aber die G20 krakenhaft immer mehr anmaßen, alle Weltthemen zu behandeln, fordern nicht nur viele der in der sogenannten C20-Begleitgruppe mitarbeitenden NGOs, dass sie gleich eine informelle Gruppe der Vereinten Nationen gründen sollten. Die Treffen könnten dann regelmäßig vor der jährlichen UN-Generalversammlung in New York stattfinden, an denen sowieso die meisten G20-Staatschefs und -chefinnen teilnehmen.

Vereinte Nationen statt WTO

Dann könnten die G20 ihren Größenwahn ausleben und gleich mit dem Rest der UN-Mitglieder um deren Zustimmung zu ihren Vorschlägen ringen. Das passende UN-Gremium existiert bereits, nämlich das Financing for Development Forum, in dem jährlich unter Beteiligung von IWF, Weltbank, Unctad und WTO global relevante wirtschafts- und finanzpolitische Themen debattiert werden – und dies legitimiert und demokratisch mit allen Staaten der Weltgemeinschaft.

Die G20-Staaten sollten nach Lust und Laune in einen Wettbewerb mit den restlichen Staaten treten, in dem es darum geht, wer die Nachhaltigkeitsziele am schnellsten und am besten umsetzt. Sie könnten in New York weitere Programme beschließen für Jugendliche oder Digitalisierung, gegen Antibiotikaresistenzen und zu Stahldumping und sie in die UN-Nachhaltigkeitsziele einreihen. Freihandelsabsprachen wären sogar im Gegensatz zur WTO dort, wo wir sie uns immer wünschten: in den Vereinten Nationen.

Einen Haken hat diese Forderung allerdings: die schwerfällige Beteiligung von VertreterInnen der Zivilgesellschaft in den heiligen Hallen der Vereinten Nationen. Die UN müssten einen Rahmen schaffen, damit nicht nur die üblichen NGOs an der Vorbereitung der G20-Beschlüsse beteiligt werden.

Und noch eines müsste sich ändern. Am ersten Gipfeltag der G20 würden die Ergebnisse und Forderungen der Zivilgesellschaft den RegierungsvertreterInnen zur Diskussion gestellt werden, und es wäre ihnen nicht freigestellt, ob sie sich beteiligen oder shoppen gehen.

Die StaatschefInnen oder zumindest MinisterInnen müssten Rede und Antwort stehen, wie sie die Forderungen der Zivilgesellschaft in ihren Beratungen und Beschlüssen aufgreifen wollen oder vorgehende Beschlüsse, wie den Hamburger Aktionsplan, umgesetzt haben. Das wäre mehr an Partizipation als der bisherige Flaschenhals der G20-Begleitgruppen.

10 Jul 2017

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J. Marí

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