taz.de -- Alternativ-Gipfel zum G20-Treffen: Für Menschen statt Profite

Beim Gegengipfel in Hamburg herrscht gute Stimmung – und Einigkeit gegen die Konzerne und die G20, die deren Macht sicherten.
Bild: Die Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Vandana Shiva, spricht auf dem Gegengipfel

HAMBURG taz | Die Sorge der Organisatoren, dass die Camp-Verbote viele Menschen von der Teilnahme am Alternativ-Gipfel abschrecken würde, war unbegründet: Schon gegen 11 Uhr vormittags sitzen Hunderte Menschen im Hof der Kulturfabrik Kampnagel in der Sonne und unterhalten sich, der große Saal mit 850 Plätzen ist um die Zeit längst wegen Überfüllung geschlossen. Das scheint diejenigen, die nicht mehr reingekommen sind, nicht weiter zu stören: „Ich habe Zeit mitgebracht“, sagt Johanna Neutzling. Und sie wolle ja auch nicht nur einen Überblick bekommen über politische Alternativen zur offiziellen Politik der G20, sagt die 23-Jährige, sondern sich auch mit anderen austauschen – und dafür sei hier ja der richtige Ort.

Diejenigen, die es in den Saal geschafft haben, lauschen um diese Zeit der indischen Globalisierungskritikerin Vandana Shiva, die auch schon bei den ersten globalisierungskritischen Protesten gegen die Weltbank-Tagung 1988 in Berlin dabei war. Seitdem habe die Ungleichheit auf dem Planeten dramatisch zugenommen, kritisiert die Trägerin des Alternativen Nobelpreises: „Als die G20 im Jahr 1999 gegründet wurde, besaßen die 388 reichsten Menschen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit“, sagt Shiva. „Jetzt sind es acht Superreiche, die so viel besitzen wie die halbe Menschheit.“

Grund sei, dass große Konzerne in immer mehr Bereichen lokale Produzenten verdrängten, dadurch ihre Gewinne steigerten und die Löhne drückten. Jüngstes Beispiel sei die Landwirtschaft, die Chemie- und Agrarkonzerne mit patentiertem Saatgut und Pestiziden beherrschen wollen. „Dieses Gift-Kartell müsste die G20 regulieren“, ruft Shiva. „Aber das tun sie natürlich nicht.“ Denn die Staats- und Regierungschefs seien nicht die eigentlichen Machthaber, sondern nur die Sherpas der Konzerne, also deren Helfer.

Während des zweitägigen „Gipfels für globale Solidarität“ finden insgesamt 11 Podiumsdiskussionen und 75 Workshops statt, die Menschen aus 20 Ländern anbieten. Ziel sei es gewesen, „alle großen politischen Konfliktthemen der Welt unterzubringen“, sagt Mitorganisator Achim Heier von Attac. Dazu müssten ja Lösungen gefunden werden. „Die G20 findet sie nicht, also müssen wir selbst ran.“

Schwerpunkte der Workshops sind Krieg und Frieden, weltweite soziale Gerechtigkeit, Klima, Landwirtschaft und Ernährung sowie die Beseitigung von Hunger. Er hoffe, sagt Heier, dass sich die Beteiligten auch untereinander vernetzten – um dauerhaft Kontakte aufzubauen.

Überzeugungen, die viele teilen

Hans-Wilhelm Rieck, der die ganze Woche über für mehrere Demos und Veranstaltungen 50 Kilometer nach Hamburg fährt, will als nächstes die Diskussion „Wem dient die Ökonomie“ hören. Er fühle sich hier wegen seines Alters von 72 Jahren zwar „wie ein Fossil“, sagt er – aber das Alter sei vielleicht nicht entscheidend, eher seien es die alternativen Überzeugungen, die ein Großteil der Menschen hier offenbar teile.

„Ich bin hier, weil es wichtig ist, dass wir nicht nur gegen etwas sind, sondern uns auch darüber klar werden, wofür wir sein wollen“, sagt die 26 Jahre alte Laura Sommer. Sie interessiert sich für einen Workshop zur Anti-Kohle-Aktion Ende Gelände im August im Rheinland, „weil die konkreten Kämpfe nach dem Gipfel ja weitergehen“ – und gibt außerdem selbst einen Workshop zu Queerfeminismus. Danach wird die Gipfelwoche für sie noch nicht beendet sein: „Heute Abend bin ich beim Nachttanzen, morgen beim FLTI-Block der ,Welcome to hell'-Demo und am Freitag mach’ich zivilen Ungehorsam.“

Solche Aktionen dürften allerdings auf Widerstand der Polizei stoßen. Deren bisheriger harter Einsatz stößt beim Eröffnungspodium auf scharfe Kritik von Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung. „Wir erleben derzeit weltweit eine große Repressionswelle gegen die Zivilgesellschaft“, sagt sie. Das gelte nicht nur in Russland, der Türkei oder Indien, sondern – wenn auch auf einem anderen Level – „auch hier vor der Tür“. Die Hamburger Grünen ruft Unmüßig auf, die Versammlungsfreiheit „zu ihrer Maxime zu machen“.

Der Gegengipfel läuft noch bis Donnerstagabend. Das Programm ist zu finden unter [1][www.solidarity-summit.org]

5 Jul 2017

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[1] http://www.solidarity-summit.org

AUTOREN

Patricia Hecht
Malte Kreutzfeldt

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