taz.de -- Sachbuch „Kaltland“: Einfühlungen, moralfilterlos

Jasna Zajček hat mit „Kaltland“ ein kluges Buch zur deutschen Flüchtlingsfrage geschrieben: Es lebt vom Realismus.
Bild: In „Kaltland“ wird nicht geherzt

Die Publizistik zur europäischen Flüchtlingsfrage widmet sich meist dem Überfliegenden. Erörterungen, entweder fundamental ablehender Art sind es, oder solche, die grundsätzlich begründen, warum das alles so sein Richtiges hat, wenn Menschen aus Kriegsgegenden nach Europa, vor allem nach Deutschland kommen. Das Gros dieser Bücher umweht der Geschmack von Alarm oder Verheißung.

Die Journalistin Jasna Zajček durchkreuzt mit ihrem Buch „Kaltland“ diese Perspektiven, sie hat nicht „from a distance“ auf die Umstände selbst geschaut, sondern, wie es sich für Journalisten gehört, die Verhältnisse selbst angeguckt. Etwa in Sachsen, von wo beinahe täglich Aggressionen übelster Art wider Flüchtlinge vermeldet werden.

Zajček, die 2005 den CNN Journalist Award für eine Undercover-Recherche in einem deutschen Ausbildungslager der US-Armee erhielt, ist in dieses Sachsen gegangen und hat dort in einem Flüchtlingsheim als Deutschlehrerin gearbeitet. Diese Erfahrungen fließen in ihr Buch ein. Es ist ein Kompendium dieser Erlebnisse mit allen realistischen Reflexionen, die nötig sind, um aus purer Anschauung ein wenig Erkenntnis zu destillieren.

Sie gibt männlichen Flüchtlingen eine Stimme, lässt sie erzählen, was sie in Deutschland arbeiten wollen – und hört, dass es dort allenfalls vage Vorstellungen von dem gibt, was man hierzulande unter Arbeit und Selbstverantwortung versteht: Chauffeur wollen manche werden, für Bosse. Was sich bei vielen wie ein ödes Klischee über die arabische Männerseele läse, wird bei Zajček zu einem realistisches Panoptikum echter Wünsche.

Die Autorin schreibt nicht auf, was Flüchtlinge mit edlen Herzen wollen könnten – nach den Fantasien ihrer Helfer und Helferinnen. Sondern was sie selbst beanspruchen. Das ist dann anders als die Idee, demnächst in der Nachbarschaft einen Superzahnarzt aus Damaskus oder Aleppo zu wissen.

Zajčeks Buch ist in der Tonlage ohne Belehrung – aber mit größtem Einfühlungsvermögen. Sie möchte, ohne dies auch nur aussprechen zu müssen, dass es den Neuankömmlingen gut geht. Dass sie nicht mit Hass behelligt werden. Aber die Autorin, angstlos seit ihren Tagen als Kriegsreporterin im Nahen Osten, lässt sich auch auf Kommunikationen mit Pegidisten und bizarr abgehängten Menschen im Osten der Republik ein.

„Kaltland“ ist einer der klügsten Überblicke zur Flüchtlingsfrage in Deutschland. Zajček macht sich keine Illusionen, weil sie einen empathischen Blick auf das hat, was Sache ist: Es mag manchem als Argumentfutter für Rechtspopulisten vorkommen, wenn sie notiert, dass es für arabische Männer unzumutbar ist, die Gemeinschaftsküche zu putzen. Das machen doch dort, wo sie herkommen, Frauen. Zajček aber hebt nicht ihre Zeigefinger und droht mit Gendermainstreaming-Programmen. Sie rät überhaupt nichts, sondern vertraut darauf, dass alles gut wird. Oder für manche eben auch nicht.

„Kaltland“ ist ein journalistisches Buch, ein Bericht, und nicht eine Handreichung für die Erziehung der neuen Deutschen und der alten.

24 Mar 2017

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Jan Feddersen

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