taz.de -- Smartphones und Missbrauch: Penisbilder in der Schule

Kinder und Jugendliche sind durch Smartphones der Gefahr des Missbrauchs verstärkt ausgesetzt. Eine klare Gesetzgebung ist dringend nötig.
Bild: Die Grenzen zwischen realer und digitaler Welt verschwimmen für Kinder zunehmend

Wenn Polizeibeamte zu Verdächtigen fahren, die Kinderpornos besitzen sollen, packen sie meist schutzsichere Westen ein. Die Kripo-Erfahrung: Bei Männern, die sich sexuell stimulieren, indem sie Bilder und Filme mit nackten Mädchen und Jungen anschauen oder die sich im Netz Kontakte zu Kindern verschaffen, muss man auf alles gefasst sein.

Das Geschäft mit Kinderpornos und sexueller Gewalt an Kindern im Netz boomt. 25 bis 35 Milliarden Euro werden jährlich damit verdient, schätzen die Vereinten Nationen. Konsumenten sind fast ausschließlich Männer.

Für Täter wird es immer leichter, in sozialen Netzwerken, über Chats und Computerspiele Kontakte zu Minderjährigen zu bekommen und sie später in der realen Welt sexuell auszubeuten. Kein Schulhof in Deutschland, auf dem nicht Bilder von Penissen kursieren, wissen ExpertInnen.

Trotzdem ist das Wissen über die Täter und Opfer, das Darknet und die Strukturen der sexuellen Ausbeutung im Netz begrenzt. Um diesen Dschungel näher zu durchleuchten, hat der Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, eine Expertise zu sexueller Gewalt an Minderjährigen durch digitale Medien erstellen lassen. Die Ergebnisse stellte Rörig am Dienstag vor.

Das grundsätzliche Problem bei der Internetnutzung durch Kinder und Jugendliche: Die Grenzen zwischen realer und digitaler Welt verschwimmen zunehmend. „Soziale Beziehungen werden heute digital gelebt, viele unterscheiden nicht mehr zwischen digitaler und analoger Welt“, sagte Julia von Weiler von Innocence in Danger, einer Nichtregierungsorganisation gegen sexuelle Gewalt an Kindern.

Gelockt mit einem Versprechen

Mit dem Smartphone in der Tasche trügen Kinder die Gefahr stets bei sich, sagt Arne Dekker vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, das die Studie durchgeführt hat.

Die Folgen sind für viele junge UserInnen fatal: 728.000 Erwachsene in Deutschland haben sexuelle Online-Kontakte zu Kindern und Jugendlichen, hat die Universität Regensburg herausgefunden. Die Zahl der minderjährigen Opfer schätzt von Weiler auf 1,4 Millionen.

„Es ist heute leicht, den Kontakt zu einem Kind zunächst digital herzustellen und dann in die reale Welt zu übertragen“, sagte die Psychologin. Die Kinder würden gelockt mit Versprechen, einem neuen Smartphone oder einem PC. Zudem drohten die Täter damit, Fotos der Opfer, die diese dem Täter geschickt habe, im Netz weiterzuverbreiten.

Alex Stern ist eines dieser Opfer. Wenn er heute einem Fremden begegne, wisse er nicht, ob dieser vielleicht von ihm Fotos in einer hilflosen Situation gesehen habe. Er kritisierte, dass es zu wenige psychosoziale Hilfen für junge Opfer gebe.

Jetzt berät Stern selbst Opfer über ein Hilfetelefon. Die Mädchen und Jungen, die sich melden, berichten davon, auf dem Schulhof von MitschülerInnen gemobbt oder von Fremden im Internet bedroht zu werden. Von manchen kursieren Bilder im Netz. Manche Betroffene drohten am Hilfetelefon mit Suizid, weil sie den Druck nicht mehr ertragen können.

Mehr Jugendliche unter den Angreifern

Das Bundeskriminalamt (BKA) spricht von 139 Millionen Dateien mit kinderpornografischem Material seit 2002; darunter Bilder von Kindern, die in den 70er Jahren aufgenommen und später digitalisiert wurden, sagt Holger Kind vom BKA.

Sexuelle Übergriffe im Netz passieren nicht plötzlich, sondern schleichend. Die Täter geben sich andere Identitäten – jünger, anderes Geschlecht – und bauen so Vertrauen zu den Opfern auf. Viele Täter hätten ein genaues Gespür für die „Bedürftigkeit“ ihrer Opfer.

Doch Täter sind nicht nur Erwachsene. Seit etwa fünf Jahren registrieren Behörden einen Anstieg jüngerer AngreiferInnen. Der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger spricht von 35 Prozent von Kindern und Jugendlichen als Tatverdächtige.

„Dies ist eine Herausforderung für den digitalen Kinderschutz“, sagte Rüdiger zur taz, „denn es stellt bisherige Schutzkonzepte, die sich gegen erwachsene Täter richten, auf den Kopf.“ Gleichzeitig müsse man Kindern und Jugendlichen vermitteln, wann sie sich wie im digitalen Raum strafbar machen können.

Der Missbrauchsbeauftragte Rörig fordert, bereits den Versuch von Cybergrooming – Anbandeln von Erwachsenen mit Kindern im Netz – unter Strafe zu stellen. Bisher würden Täter nicht bestraft, denen die Polizei durch einen virtuellen Lockvogel auf die Schliche gekommen sei, ohne ihnen reale Kontakte nachweisen zu können.

18 Jan 2017

AUTOREN

Simone Schmollack

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