taz.de -- OSZE-Gipfel in Hamburg: Wohnen mit Besatzern

Das Karoviertel wurde von Hubschraubern der Polizei dauerbeschallt. Eine Kurdendemo wurde aufgelöst.
Bild: Musste abgebrochen werden: Kurden-Demo gegen den OSZE-Gipfel

Hamburg taz | Direkt in der Marktstraße, am südlichen Eingang zum Karolinenviertel, steht ein historischer, ausgedienter Wasserwerfer mit Räumgittern an der Front. Auf der Windschutzscheibe steht in Großbuchstaben: „KOSZE“.

Die Tagung der 57 Außenminister der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat am Donnerstagmorgen in den Messehallen begonnen und ist von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) offiziell eröffnet worden. Zu der Zeremonie, in der er sich bei den „weltoffenen“ HamburgerInnen für die Gastfreundschaft bedankte, war ein türkeikritischer Journalist trotz Akkreditierung nicht zugelassen worden.

Die Tagungsstätte ist von zwei Sicherheitszonen umgeben. In Zone eins kommen nur die 3.500 akkreditierten Tagungsteilnehmer und Gäste. Eine zweite Zone betrifft Teile des Karoviertels. An neun Kontrollpunkten müssen sich hier die Anwohner ausweisen, wenn sie in ihre Wohnungen wollen. Ihre Besucher müssen die Anwohner an den Kontrollpunkten abholen.

Die Zone zwei auf der Karolinenstraße ist zusätzlich durch Betonblöcke gesichert, um einen Anschlag wie in Nizza zu verhindern. Die von der Polizei eskortierten Fahrzeuge der Delegationen müssen sich daran vorbeischlängeln. Die Verkehrsachse Schröderstiftstraße/An der Verbindungsbahn ist für den Autoverkehr gesperrt.

„FCK OSZE“

In den Fenstern vieler Geschäfte und Kneipen hängen Protestplakate gegen die OSZE. In einer Edel-Boutique in der Marktstraße trägt eine weibliche Schaufensterpuppe ein schickes schwarzes Kleid, eine Sturmhaube über dem Kopf und ein Schild „FCK OSZE“ auf dem Bauch.

Das Messegelände selbst und die Straßen drumherum gleichen einer Festung. Eine Armada von Wasserwerfern und hunderte Einsatzfahrzeuge der Polizei stehen auf dem Messegelände herum. Dutzende Rettungswagen stehen in Bereitschaft. In den ganzen Gegend patrouillieren Kolonnen aus Polizeieinsatzwagen oder halten öffentliche Plätze dauerhaft besetzt.

Selbst an der Universität gegenüber dem Congress Centrum steht eine Hundertschaft in Bereitschaft. In der Luft kreisen Polizei-Helikopter, zu denen sich zeitweise Mannschaftshubschrauber der Bundespolizei auf Rundflug gesellen, so dass das Karoviertel den ganzen Tag durch das Knattern der Rotoren beschallt wird. Viele Kitas im Karo- und Schanzenviertel haben geschlossen, viele Eltern haben ihren Kids schulfrei verordnet. Selbst die Gerichte am Sievekingplatz haben das Gros der Verhandlungen abgesagt.

„Man kann nicht arbeiten“

Gegen Mittag unternimmt die Linkspartei den Versuch, auf dem Karolinenplatz – 500 Meter von der OSZE Tagung entfernt – Protest auf die Straße zu tragen. „Wir demonstrieren nicht gegen die OSZE“, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider in ihre Rede an die „Lieben Anwohnerinnen und Anwohner“ per Megaphon, sondern „gegen den Ausnahmezustand für das Karoviertel, die Schanze und ganz Hamburg“. Doch die Anwohner und die zwei Dutzend Versammelten bekommen von ihrer Rede wegen der Hubschrauber-Rotoren nichts mit. Die Linke beschließt, die dreistündige Versammlung ohne Worte als Stehkundgebung fortzusetzen.

Auch Anwalt Mahmut Erdem, der am Karolinenplatz seine Kanzlei hat, ist vom Hubschrauberlärm genervt,. „Man kann nicht arbeiten“, sagt er, „man kann sich durch das Gedröhne einfach nicht konzentrieren“.

Mehr Gehör finden am Abend rund 600 KurdInnen und deutsche Unterstützer, die quer durch die Innenstadt gegen die OSZE demonstrieren. Motto: „OSZE: Statt Frieden und Sicherheit – Krieg und Destablisierung in Kurdistan“ Sie werfen der OSZE vor, Menschenrechtsverletzungen des Türkei-Regime zu dulden und vielerorts Kriege zu forcieren.

Am Gänsemarkt musste der Anmelder, der Bürgerschaftsabgeordnete der Linkspartei Martin Dolzer, die Demonstration jedoch auflösen. Weil die Demo den Gänsemarkt nicht um 17.45 Uhr passiert habe, komme sie jetzt der Protokollstrecke mit dem Fahrzeug-Konvoi der OSZE-Außenminister in die Quere, der die Politiker von der Messe zum Abendessen ins Rathaus kutschieren soll – zum Seiteneingang.

Die dritte Demo aus dem antiimperialistischen Spektrum am frühen Abend wurde nach gerade einmal fünf Metern das erste Mal von der Polizei gestoppt, bewegte sich später jedoch weiter in Richtung Rote Flora.

8 Dec 2016

AUTOREN

Katharina Schipkowski
Kai von Appen
Andreas Speit

TAGS

OSZE
Demo
Protest
Hamburg
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Polizei
Kurden
Schwerpunkt Türkei
OSZE
OSZE
OSZE
OSZE
Gipfel
OSZE

ARTIKEL ZUM THEMA

Noch mehr Sperren: Wettlauf der Sicherheitszonen

Die OSZE-Konferenz war nur das Vorgeplänkel. Der Ernstfall tritt ein, wenn die Staats- und Regierungschefs zum G20-Gipfel nach Hamburg kommen.

OSZE – Schikane: Woche des Wahnsinns

Am Ende hatte man sich beinahe daran gewöhnt: Die Polizei dominierte eine Woche lang das Hamburger Stadtbild und bestimmte, was man durfte und was nicht

OSZE-Gipfel in Hamburg: Treffen in „stürmischen Zeiten“

Beim OSZE-Gipfel wird der Weltfrieden wohl nicht erreicht. Die USA und Russland machen sich gegenseitig für ihre Konflikte verantwortlich.

Kommentar Polizei beim OSZE-Gipfel: Urbane Aufstandsbekämpfung

Es werden kaum Proteste erwartet, dennoch kommen Tausende Polizisten zum OSZE-Gipfel. Der Staat wird sichtbar – als Repressionsapparat.

Dialog zum OSZE-Gipfel in Hamburg: Wenn Frank-W. Frieden predigt

Außenminister Frank-Walter Steinmeier schrieb den Hamburgern einen Brief, in dem er für den OSZE-Gipfel wirbt. Nun antwortet ihm die Interventionistische Linke.

OSZE-Treffen in Hamburg: Gipfel ohne Konsens

Mit dem Ministerrat in Hamburg endet der deutsche Vorsitz der OSZE. Die Erwartungen waren groß, Fortschritte bleiben aus.

Pro und Contra OSZE-Gipfel in Hamburg: Sinnvoller Protest oder sinnvoller Gipfel?

Wenn Ende der Woche in Hamburg der OSZE-Gipfel stattfindet, wird dagegen von links demonstriert. Aber ist die OSZE nicht wichtig für den Frieden? Ein Pro & Contra