taz.de -- Kommentar US-Wahlknatsch: Alle profitieren vom System

Trump posaunt herum, bei der Wahl seien Millionen Stimmen illegal abgegeben worden. Eine Revision des US-Wahlsystems wäre tatsächlich nötig.
Bild: Ein Präsident mit solchen Reflexen ist eine tickende Zeitbombe

Wird die Neuauszählung der Stimmen in den Bundesstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania den Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus noch verhindern? Das steht wohl nicht zu erwarten.

Auch einen Cliffhanger wie im Jahr 2000, als veraltete Wahlmaschinen in Florida für ein Riesenchaos gesorgt hatten und die Wahl schließlich Wochen später vor Gericht entschieden wurde, muss wahrscheinlich niemand befürchten.

Trotzdem ist es richtig, die Ergebnisse noch einmal zu überprüfen – und sei es nur, um die Sicherheit zukünftiger Urnengänge zu verbessern. Das ist im Prinzip auch ein vollkommen normaler Vorgang.

Nicht normal ist hingegen, wenn ein gewählter Präsident herumposaunt, [1][bei der Wahl seien Millionen Stimmen illegal abgegeben worden] – ohne dafür auch nur den kleinsten Anhaltspunkt zu liefern. Man neigt dazu, den Unsinn mit Trumps zwanghaftem Hang zu unüberlegten Gegenattacken zu erklären. Aber das macht es nicht besser. Ein president elect mit solchen Reflexen ist eine tickende Zeitbombe.

Dabei wäre eine grundsätzliche Überarbeitung des demokratischen Systems der USA tatsächlich nötig. Das Wahlleutegremium, dessen Existenz jetzt zum zweiten Mal in 16 Jahren dazu führt, dass jemand Präsident wird, der landesweit deutlich weniger Stimmen bekommen hat als seine Gegnerin, ist überholt.

Die unterschiedlichen Formen der Registrierung und Abweisung von WählerInnen schaffen ständig neue Ungerechtigkeiten. Und dass der größte Bundesstaat genauso viele Senatoren stellt wie der kleinste, ist auch nur dann zu begründen, wenn man ein handlungsfähiges Washington für überflüssig hält.

Doch über all das wird wieder nicht geredet werden können. Ohnehin verdanken alle, die das System ändern könnten, genau diesem ihre politische Existenz. Und ausgerechnet unter Trump eine Demokratiedebatte anzuzetteln, kann nur schiefgehen.

29 Nov 2016

LINKS

[1] /Trump-beschuldigt-Clinton-WaehlerInnen/!5360875/

AUTOREN

Bernd Pickert

TAGS

Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Donald Trump
Auszählung
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Jill Stein
Donald Trump
Donald Trump
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Hillary Clinton
Hillary Clinton
Donald Trump

ARTIKEL ZUM THEMA

Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl: Neuauszählung in Michigan gestoppt

Ein Gericht hat entschieden: Die Behörden dürfen die von Jill Stein beantragte Zählung nun doch einstellen. In Michigan war der Sieg von Trump besonders knapp.

Ergebnis der US-Wahl: Doch kein „Recount“ in Pennsylvania

Dämpfer für die Hoffnungen von Trump-Gegnern: Die Grüne Jill Stein zieht einen ihrer Anträge auf eine Neuauszählung zurück. Die Kosten seien zu hoch.

Trump nominiert Ex-General Mattis: „Mad Dog“ als Verteidigungsminister

Ex-General James Mattis soll an die Pentagonspitze. Er steht für eine harte Linie gegenüber Ländern wie Iran und Russland. Es gibt aber noch ein rechtliches Problem.

Designierter US-Finanzminister: Trump beruft Forrest Gump

Donald Trump ernennt einen eiskalten Wall Street Manager zum Finanzminister. Er schickt sich damit an, die Märkte von der Leine zu lassen.

Trumps Kabinett nimmt Formen an: Mnuchin soll Finanzminister werden

Im US-Wahlkampf hat er die Finanzen für Donald Trump geregelt, nun soll Steven Mnuchin dies für das ganze Land tun. Auch die Verkehrsministerin steht fest.

Trump beschuldigt Clinton-WählerInnen: Millionen stimmten illegal

Immer wieder warnte Donald Trump im Wahlkampf vor einer angeblich manipulierten Wahl. Nun hat er zwar gewonnen, bemüht das Mantra aber erneut.

Neuauszählungen nach der US-Wahl: Clinton-Lager unterstützt „Recount“

In drei Staaten soll neu gezählt werden. Donald Trump nennt das von Jill Stein angestrebte Vorhaben „aberwitzig“. Team Clinton macht sich wenig Hoffnung.

Biograf über Trumps Charakterzüge: „Lächerlich großes Ego“

David Cay Johnston hält den gewählten US-Präsidenten für einen unreflektierten Choleriker. Die Verfassung könne ihn aber überleben.