taz.de -- No Choice im Krankenhaus: Christliche Klinik streicht Abtreibungen

Im Kreis Schaumburg können ungewollt schwanger gewordene Frauen nicht mehr abtreiben. Der Betreiber des Kreisklinikums lehnt das ab.
Bild: In Schaumburg haben sie gewonnen: Abtreibungsgegner

Göttingen taz | Wenn kein medizinischer Notfall vorliegt, können Frauen im niedersächsischen Landkreis Schaumburg bald nicht mehr abtreiben. Dort wird gerade ein Klinikum gebaut, das die bisherigen drei kleineren Krankenhäuser im Landkreis ersetzen soll. Betreiber des neuen Klinikums ist der Agaplesion-Konzern, der sich als gemeinnützige Aktiengesellschaft auf sein christliches Leitbild beruft und deshalb bei sozialer Indikation keine Abtreibungen durchführen will. In Einzelfällen erkennt die Klinik auch eine seelische Gefährdung als Grund an. Die übrigen Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind und deshalb abtreiben möchten, sollen sich jedoch ein anderes Krankenhaus suchen.

In zwei der drei Krankenhäuser in Schaumburg waren Abtreibungen bisher möglich, da der Landkreis der Betreiber war, beziehungsweise momentan noch ist. Im dritten Krankenhaus war dies nicht möglich, da es ebenfalls ein christliches Krankenhaus ist. Betreiber auch hier: der Agaplesion-Konzern. Zudem gibt es im Landkreis keine Arztpraxen, die eine ambulante Abtreibung anbieten. Den Bau des Klinikums, der im kommenden März abgeschlossen sein soll, hatte der Landkreis mit 95 Millionen Euro mitfinanziert.

„Ich bin so dermaßen empört über diese frauendiskriminierende Entscheidung“, sagt Ursula Helmhold. Die Schaumburgerin saß für die Grünen zehn Jahre im niedersächsischen Landtag und hat eine Petition gegen den Klinikumbetreiber gestartet. „Die evangelische Kirche maßt sich hier an, über individuelle ethische Grundsätze hinweg entscheiden zu können“, sagt Helmhold. Die Nachricht über die künftig nicht mehr möglichen Abtreibungen kam für die BewohnerInnen des Landkreises völlig überraschend.

Kritik sogar von den Christdemokraten

Bevor die Schaumburger Zeitung vorige Woche darüber berichtete, wussten auch die Parteien im Kreistag nichts von der Entscheidung. Sie erfuhren also erst sieben Jahre nach Beschluss der Zusammenlegung der Krankenhäuser und knapp zwei Jahre nach Baubeginn davon. Sogar die örtliche CDU kritisiert die Absicht, keine Abtreibungen durchzuführen. Warum dies allerdings bei den damaligen Beschlüssen des Kreistags und in den Verhandlungen mit Agaplesion kein Thema war, weiß heute niemand mehr so richtig.

Agaplesion verweist in einer Mitteilung darauf, dass sich schwangere Frauen im Klinikum an die Ärzte wenden könnten. Sollten diese dann eine medizinische Gefährdung der Mutter durch die Schwangerschaft feststellen, sei eine Abtreibung möglich. Eine Ethikkommission solle künftig darüber entscheiden. Keinesfalls, so Agaplesion, würden Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen möchten, einfach weggeschickt „ohne wenigstens kompetente Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zu nennen“.

Für Helmhold ist das eine „Unverschämtheit“. Denn diese Beratungsangebote würden zwangsläufig dazu führen, dass versucht werde, den betroffenen Frauen von einem Schwangerschaftsabbruch abzuraten.

Kein Recht auf Abtreibung in Deutschland

Die Klinikbetreiber dürfen nach eigenem Ermessen darüber entscheiden, ob sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen oder nicht. Grundsätzlich gibt es in Deutschland kein Recht auf Abtreibung (siehe Kasten). Wie sich an den zwei vom Landkreis bisher betriebenen Krankenhäusern zeigt, wären aber Abtreibungen aufgrund sozialer Indikation künftig weiterhin in Schaumburg möglich, hätte man sich nicht für einen privaten christlichen Betreiber des neuen Klinikums entschieden.

Nun werde nach Möglichkeiten gesucht, wie sich Frauen im Landkreis doch noch gegen eine ungewollte Schwangerschaft entscheiden könnten, sagt Kreissprecher Klaus Heimann: „Da befinden wir uns nun in intensiven Gesprächen“.

Den Ärzten, die bisher aufgrund ihrer Überzeugungen freiwillig in Schaumburg Abtreibungen durchgeführt haben – denn Pflicht sind solche Eingriffe nicht –, wird dies von ihrem neuen Arbeitgeber künftig untersagt. „Das alles ist eine Geschichte, die man sonst nur aus dem katholischen Bayern kennt“, sagt Helmhold.

16 Nov 2016

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André Zuschlag

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