taz.de -- Kolumne Geht’s noch?: Der Bettvorleger der Industrie
Das geht zu weit: Das Kraftfahrtbundesamt soll seine Stellungnahmen zu den Abgasskandalen mit der Autoindustrie abgestimmt haben.
Was bitte ist ein „industriefreundlicher Gruß“? Der Chef des Kraftfahrtbundesamts (KBA), Ekhard Zinke, schließt in Sachen Abgasskandal eine Mail an einen seiner Unterlinge „mit industriefreundlichem Gruß“. Das KBA, wir erinnern uns, ist das [1][Kontrollorgan der Autoindustrie]. Es veröffentlicht immer sehr schöne Statistiken zu den Zulassungszahlen.
Wer wissen will, welcher Hersteller im Oktober die drittmeisten Kisten im SUV-Panzersegment mit roten Sitzen verkauft hat, wird beim KBA jederzeit fündig. Jetzt ist klar geworden, dass dieser Bettvorleger der Industrie nichts anderes ist als ein Bettvorleger der Industrie.
Die Stellungnahmen und Berichte des Amts zu den kriminellen Machenschaften der Autoindustrie wurden mit selbiger „abgestimmt“. VW, Opel und Co. haben den KBA-Leuten beim Tippen Händchen gehalten. DPA, Spiegel Online und Bayerischem Rundfunk [2][liegen die Mails vor]. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt – der mit dem Karosakko und dem Nacktmullblick – war eingeweiht.
Was veröffentlicht wurde, ist „vorher konkret besprochen“ worden. Die Industrie konnte ihr Veto gegen einzelne Passagen einlegen und elegante Formulierungen vorschlagen: Der Staatsanwalt stimmt die Klageschrift mit dem Bankräuber ab. Ein Opel-Mann schreibt zu einer KBA-Formulierung, sie lese sich ja, als handele es sich um Gesetzesverstöße, was nun wirklich unangemessen sei. Das KBA sagt, ein solches Vorgehen sei „international üblich“.
Und was sagt Audi? Die Ingolstädter wurden in den USA mit einer weiteren Betrugssoftware erwischt und haben [3][eine erste Sammelklage am Hals]. Nicht nur Diesel, auch 3,0-Liter-Benziner (A6, A8, Q5, Q7) wurden wohl kriminell manipuliert. Einer Frau, die deshalb mit ihrem Audi nicht mehr fahren will, erklärt die Audi-Werkstatt, das sei „ein rein amerikanischer Skandal“, man wolle die deutschen Autobauer ruinieren.
Ihr Auto sei „technisch völlig okay“. Zudem habe sie keinerlei Abgase zu befürchten, sie sitze ja, wenn sie fahre – tusch! – drinnen im Auto. Fazit: Die fossile Ära der Autoindustrie geht rasend schnell zu Ende. Auf der Pole-Position steht längst der Chinese mit dem Elektromobil.
Voll industriefreundlich, ganz ganz lieb
Ihr Manfred Kriener
11 Nov 2016
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Das Land ist bei Autoherstellern für Abgaszulassungen besonders beliebt. Doch nun geht der Verkehrsminister gegen Audi und VW vor.
Laut EU-Kommission ist Deutschland zu nachsichtig mit der Autoindustrie. Verschwanden Unternehmen zuliebe kritische Passagen aus einem Untersuchungsbericht?
Hat Deutschland in der Abgasaffäre EU-Recht verletzt? Ein Verfahren klärt das jetzt. Der Streit zwischen Verkehrsminister Dobrindt und Brüssel geht weiter.
Trotz Abgasaffäre überschreiten NOx-Werte immer noch das gesetzliche Limit. Jährlich sterben 467.000 Menschen durch Luftverschmutzung.
Das Verkehrsministerium sorgt sich stärker um die Autoindustrie als um die Gesundheit. Für Abgastests sollten andere zuständig sein.
Die Emissionen auf der Straße sind laut einer neuen Analyse 42 Prozent höher als im Labor. Dobrindts Ministerium soll derartige Tricksereien gedeckt haben.
Eine Kanzlei aus den USA hat eine Sammelklage gegen die VW-Tochter eingereicht. Nach Medienberichten geht es dabei um neue Vorwürfe in der Abgasaffäre.
Volkswagen will seine europäischen KundInnen nicht entschädigen. Aus Angst um Arbeitsplätze laviert auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil
Autoexperte Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland kritisiert das Versagen der deutschen Politik. Er fordert eine Reform der Zulassungen.
In den USA haben Verbraucher schärfere Mittel und die Behörden trauen sich mehr, sagt Anwalt Julius Reiter. Er lobt die Einigung mit VW.
Martin Führ erhebt schwere Vorwürfe gegen Alexander Dobrindt und das Kraftfahrtbundesamt. Sie hätten bestehende Gesetze falsch ausgelegt.