taz.de -- Zeitschriftenlaunch „Vogue Arabia“: Die Genugtuung der Außenseiter
2017 bringt der Verlag Condé Nast die neue „Vogue Arabia“ als Hochglanzmagazin auf den Markt. Online gibt es das Heft schon jetzt.
Der legendäre Editor-at-Large der amerikanischen Vogue, André Leon Talley, lässt es sich niemals nehmen, auf die stilbildenden Einflüsse seines Lebens hinzuweisen. Weshalb er es bei seinem Vortrag an der Oxford University 2013 nicht versäumte, den Studenten ein Bild seiner Großmutter Bennie Frances Davis zu zeigen. Als schwarze Frau im North Carolina der 50er- und 60er-Jahre verdiente sie den Lebensunterhalt für sich und den Enkel mit Putzen, und nach der Arbeit hielt sie den eigenen Haushalt auf Touren.
Sie kochte zum Beispiel die Laken in einem riesigen Waschzuber im Garten und ließ die Wäsche an langen Leinen unter Apfelbäumen trocknen. Der Duft dabei war herrlich, und ihr mittlerweile 66-jähriger Enkelsohn, ein Gigant der Modeszene, würde ihn gern in einem kleinen Flakon jederzeit bei sich tragen. Die Großmutter bügelte die Laken übrigens, wie sie alles bügelte, die Handtücher, die Handschuhe, die sie beim sonntäglichen Kirchgang trug.
Das Zimmer, in dem sie nähte, hatte sie, ohne den Namen für diese kompromissloseste aller Farben zu kennen, in Schiaparelli-Pink gestrichen. Ihr Enkelsohn saß in diesem Zimmer und las die Vogue. Später kaufte er sich das Magazin im Zeitungsladen auf dem Campus der Duke University, dort, wo seine Großmutter die Hörsäle und Flure für weiße Studenten sauber hielt.
Warum diese Erinnerung? Nun, weil ohne sie jedes auch noch so fragmentarische Sprechen über die Bedeutung der Vogue und vor allem über das, was als 22. internationale Edition unter dem Titel Vogue Arabia jetzt online geht, verlogen und ahistorisch wäre auf eine Weise, die nur denen gefallen könnte, die eine Vogue tatsächlich ausschließlich deshalb lesen, um zu erfahren, was sie sich als nächstes kaufen könnten.
Die zärtliche Wucht echten Glamours
Es ist die langweiligste aller Fragen, weil dieses pinkfarbene Zimmer in Wahrheit weniger mit Konsum als mit der Genugtuung der Außenseiter und ihrem Wissen um die zärtliche Wucht echten Glamours zu tun hat. Ein fantastischer Platz, ein Ort der subversiven Grenzüberschreitung ist dieser Raum. Im Titel der Vogue klingt es an. Vogue, Substantivbildung von voguer, französisch ursprünglich für „das am Meer Fahren“.
Auch die PR-Leute wissen das. Den Glanz der Vogue kann man nicht in die Sprache des Marktes fassen. Hier fällt es besonders auf. Alle Presseerklärungen zum Thema Vogue Arabia klingen trocken und freudlos diplomatisch. Kein Wunder, denn noch im Jahr 2007 hielt man bei Condé Nast International ein Engagement im mittleren Osten mit Verweis auf unvereinbare Frauenbilder und mächtige fundamentalistische Einflüsse für ausgeschlossen.
Inzwischen allerdings sind die Konkurrenten, darunter der schärfste Rivale, Harper’s Bazaar, in der Region vertreten. Die Modeszene am arabischen Golf habe sich entwickelt, betont wird ihre enorme Kaufkraft und Internationalität. Junge Designertalente verändern das Klima, kurz, „die Zeit ist gekommen“. Der letzte Satz stammt von Deena Aljuhani Abdulaziz, der 41-jährigen Chefredakteurin der Vogue Arabia, die ihn gegenüber der Financial Times geäußert hat. Die arabische Welt bestehe aus 350 Millionen Menschen, sie alle hätten noch nie eine eigene Vogue gehabt.
Wohnsitze in Riad und New York
Als Brückenbauerin stellt sie sich vor. Vertraut mit der westlichen wie der arabischen Kultur. Sie gehört zum Hof des Scheichs, zu einer absolutistisch herrschenden Elite. Die New York Times zählte Deena Aljuhani Abdulaziz 2006 zu den panarabischen It-Girls, so reich, dass sie sich nicht erst den Jet bei Papi oder dem Ehemann leihen müssen, um „von Riad an die Riviera“ zu fliegen. Mühelos werden Grenzen der Kleider- und Staatsordnungen überquert.
Der Geschmack ist exquisit, die Wohnsitze liegen in Riad und West Side New York. In ihrer saudi-arabischen Heimatstadt führt die Prinzessin eine auf Haute Couture spezialisierte und angeblich museumsähnliche Boutique, die zu betreten nur derjenigen gestattet ist, die über eine persönliche Einladung verfügt und absurderweise bereit ist, die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen Saudi-Arabiens für Frauen zu akzeptieren.
Nein. Riad, eine Stadt, in der Frauen grundsätzlich der Vormundschaft eines Mannes unterstehen, kommt selbst für eine feudalistisch gestützte Vogue-Redaktion als Arbeitssitz nicht infrage. Von Dubai aus wird man versuchen, dem Begriff „modest fashion“ neue Dimensionen des Chic zu verleihen.
Etwas mehr Freiheit in Dubai
Immerhin, in Dubai dürfen Frauen eine Umkleidekabine betreten und Auto fahren. Sie können sich allein durch die Stadt bewegen, was zu erwähnen im Zusammenhang mit der Geschichte eines Magazins, das mit Dorothy Todd in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in London eine offen lesbische Chefredakteurin hatte, ziemlich aberwitzig klingt. Nie hatte man Angst vor Extravaganz und weiblicher Autorschaft. Virginia Woolf schrieb für die Vogue, auch Dorothy Parker, und Lee Miller war als eine von insgesamt vier bei der U.S. Army akkreditierten Kriegsberichterstatterinnen Fotografin und Reporterin für die Vogue.
Sie sei seit ihren Teenagerjahren eine glühende Leserin der Vogue, so heißt es über die arabische Prinzessin, die keines ihrer prächtigen, kurzgeschnittenen Haare je dem Styling des Zufalls überlassen würde. Sie erwähnt das pinkfarbene Zimmer mit keinem Wort. Wie alle Frauen wolle auch die moderne arabische Frau schön sein und sich stark fühlen, erklärte sie der internationalen Presse. „Wir sind nicht avantgardistisch.“
Dafür aber sehr „sophisticated“. Das werde die Vogue Arabia aller Welt zeigen. Sie werde ein „Liebesbrief“ sein, diese Vogue, ein Beweis der Eleganz und der Stärke. Provokationen und Nacktheit will man vermeiden, und homosexuelle Designer werde man zwar featuren, die sexuelle Identität aber keinesfalls erwähnen. Wer mag, kann darin einen Fortschritt sehen.
23 Oct 2016
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