taz.de -- NSU-Opferanwalt über Beate Zschäpe: „Sie ist vollkommen unglaubhaft“

Sebastian Scharmer hält wenig von Zschäpes Einlassung. Der Anwalt im NSU-Prozess rechnet mit einer Höchststrafe für sie.
Bild: „Was soll das denn für eine Entschuldigung sein?“, sagt Sebastian Scharmer

taz: Herr Scharmer, erstmalig hat Beate Zschäpe im NSU-Prozess selbst ausgesagt und die Terrortaten verurteilt. Halten Ihre Mandanten das für glaubwürdig?

Sebastian Scharmer: Nein. Frau Zschäpe leugnet die eigene Tatbeteiligung – und das vollkommen unglaubhaft. Inhaltlich neu war ihre Stellungnahme heute auch nicht. Einzig neu ist, dass sie selbst gesprochen hat. Das zeigt, dass sie durchaus in der Lage ist, sich selbst im Prozess zu erklären. Fragen der Verletzten und Hinterbliebenen der Mordopfer will sie dennoch nicht beantworten. Was soll das denn für eine „Entschuldigung“ sein?

Warum spricht sie jetzt?

Zschäpe steht mit dem Rücken zur Wand. Der Prozess geht zu Ende. Ihre verschiedenen Verteidigungsstrategien scheinen alle gescheitert. Sie will nun persönlich deutlich machen, dass sie sich von den Taten zumindest heute distanziert. Das könnte auch dazu dienen, die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach einer lebenslangen Strafe zu verhindern.

Zschäpe distanziert sich auch von ihrem früheren rechten Gedankengut. Ist das glaubhaft?

Nach der bisherigen Beweisaufnahme hat Zschäpe 13 Jahre lang ein Leben im Untergrund geführt und durch die Deckung ihrer Mittäter die Morde und Anschläge mit ermöglicht. Noch 2011 hat sie die Bekenner-DVDs verschickt. Ihre bisherigen Erklärungen dafür im Prozess sind konstruiert, widersprüchlich und teilweise absurd. Warum sollte man ihr nun ausgerechnet glauben, dass Sie sich von ihrer neonazistischen Weltanschauung verabschiedet hätte?

Ansonsten bleibt Zschäpe dabei: Alle Taten gingen auf das Konto von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, sie habe von den Morden nichts gewusst. Halten Sie das für plausibel?

Alle bisher von ihrem Anwalt verlesenen Erklärungen haben die zahlreichen Widersprüche nicht entkräftet, auch die heutige nicht. Im Gegenteil: Die Angaben sind immer weniger glaubhaft geworden. Wer noch einen Restglauben an ihre bisherigen Angaben hatte, hat auch diesen heute verloren.

Mit welchem Urteil also rechnen Sie für Zschäpe?

Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme war Zschäpe zum Zeitpunkt des Untertauchens überzeugte Nationalsozialistin. Sie wusste von den Raubüberfällen und von den Morden, wenn auch angeblich immer erst im Nachhinein. Sie hat die Bekenner-DVD versandt und die gemeinsame konspirative Wohnung nach 13 Jahren im Untergrund in die Luft gejagt. Diese Beweislage dürfte eine Verurteilung wegen der Beteiligung an den Morden und Anschlägen wohl stützen. Und bei Mord sieht das Gesetz eine lebenslange Freiheitsstrafe vor.

29 Sep 2016

AUTOREN

Konrad Litschko

TAGS

Lesestück Interview
Schwerpunkt Rechter Terror
Beate Zschäpe
NSU-Prozess
Beate Zschäpe
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror

ARTIKEL ZUM THEMA

Berichterstattung über Beate Zschäpe: Ohhh, die Arme

Die Oma von Beate Zschäpe ist gestorben und die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt mit Bestürzung. Angebracht?

Spuren des NSU in anderem Mordfall: Böhnhardts DNA bei Peggy gefunden

Im Juli 2016 wurde die Leiche des 2001 ermordeten Mädchens in Thüringen gefunden. Ermittler entdeckten nun DNA-Spuren des NSU-Terroristen.

Aufarbeitung des NSU-Skandals: Anzeige gegen Verfassungsschützer

Die Familie eines NSU-Opfers zeigt Lothar Lingen wegen Strafvereitelung an. Er schredderte am Tag der NSU-Aufdeckung V-Mann-Akten.

Kommentar Zschäpe im NSU-Prozess: Zeit, die Hoffnung zu begraben

Nun ist klar: Beate Zschäpe wird zur Aufklärung des NSU-Terrors nichts beitragen. Für sie geht es nur noch um ein reduziertes Strafmaß.

NSU-Prozess in München: Erstmals spricht Beate Zschäpe

Beate Zschäpe meldet sich überraschend selbst zu Wort und verurteilt die NSU-Taten – die ihrer früheren Kumpanen Mundlos und Böhnhardt.

Akten aus dem NSU-Komplex vernichtet: Opferfamilien zeigen NSU-Ermittler an

Angehörige von drei NSU-Opfern erstatten Strafanzeige gegen die Bundesanwaltschaft: Diese soll trotz eines Moratoriums Akten geschreddert haben.

NSU-Prozess am OLG München: Zschäpe schweigt und schweigt

Die Angeklagte Beate Zschäpe lässt im NSU-Prozess ihren Verteidiger sprechen. Fragen der Opfer-Familien will sie gar nicht beantworten.