taz.de -- 10 Jahre Wikileaks: Die nächste Versprechung
Die mächtigste Whistleblower-Plattform der Welt feiert zehnten Geburtstag. Selbstbewusst wie immer, aber auch unsicherer denn je.
Es ist Dienstagmorgen, 10 Uhr. Im Salon der Volksbühne in Berlin stehen gepolsterte Theatersessel auf der Bühne und Mineralwasserflaschen auf runden Kaffeetischen. Ein paar Dutzend JournalistInnen sind da, deutsche und internationale KorrespondentInnen, zehn Fernsehkameras sind aufgebaut.
Julian Assange, Wikileaks, Gründer der wohl mächtigsten Enthüllungsplattform der Welt, will sich an diesem Tag selbst eine Geburtstagsansprache halten. Zehn Jahre ist es nun her, dass die Website [1][wikileaks.org] im Internet registriert wurde. Als er heute, nach rund einer Stunde, per Video aus der ecuadorianischen Botschaft in London zugeschaltet wird, wo Assange seit Jahren im Exil lebt, sagt er ein Wort, das aus seinem Mund nach einer Zeitenwende klingt.
Es ist das Wort „Resign“.
Zu deutsch: aufgeben.
Oder: abdanken, abtreten.
Nicht, dass Julian Assange heute hier seinen Rückzug ankündigen würde. Im Gegenteil: Sein Auftritt ist geprägt von Gewissheiten und Ankündigungen. Seine Gewissheit ist: Was Wikileaks in den vergangenen zehn Jahren getan hat, war ein beispielloser Kampf für die Befreiung geheimer Informationen.
Und seine Ankündigung an diesem Tag lautet: Noch vor den für November geplanten US-Präsidentschaftswahlen stehen, so sagt Assange, neue, brisante Enthüllungen an. „Wir werden im Wochentakt Dokumente veröffentlichen.“ Die Ansage ist klar: Er will die nächste Bombe hochgehen lassen.
Meist ging es um große Weltpolitik
Zehn Jahre ist es her, dass eine Schar einst kaum bekannter Hacker sich zu einer der inzwischen mächtigsten und wohl auch umstrittensten Organisationen der Informationsgesellschaft zusammentat. Sie nannte sich Wikileaks, das sollte programmatisch stehen für das Veröffentlichen geheimer Unterlagen und die gemeinsame Arbeit daran. Publiziert wurden bedeutende Rohdokumente, tausendfach.
Mal ging es dabei um geheime Dokumente über Folterbedingungen auf der Gefangeneninsel Guantánamo oder um den Nachweis von Kriegsverbrechen im Irak, mal um das Freihandelsabkommen TTIP oder den Beweis für die NSA-Spionage im deutschen Regierungslager. Meist ging es um große Weltpolitik und um wichtige Enthüllungen. Oft hatten sie Konsequenzen.
Heute, zehn Jahre nach seiner Gründung, darf Wikileaks innehalten. Gründe dazu gibt es genug: Die Organisation muss sich wieder massiven Anfeindungen stellen. Kritiker sagen: Wikileaks habe die persönlichen Daten privater Personen nicht genug geschützt. Die Organisation spiele mit ihren Veröffentlichungen derzeit Leuten wie dem erzkonservativen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump oder Russlands Präsidenten Wladimir Putin in die Hände.
Sie habe mit der bedingungslosen Solidarität für Julian Assange den Personenkult über das Sachinteresse gestellt. Und jüngere Veröffentlichungen wie die sogenannten [2][AKP-Leaks] seien zwar großmaulig angekündigt worden, politisch jedoch kaum brisant gewesen. Mit den Mails hatte Wikileaks nach dem Putsch in der Türkei Einblick in Erdoğans Regierungspartei versprochen. Tatsächlich waren es vor allem unbedeutende Mails von Privatleuten an die AKP.
Die Wikileaks-Masche
Was, Wikileaks, bist du geworden? Und was soll aus dir werden? Einige Antworten dazu könnten sich bald ergeben.
Das Material, das nun in den kommenden Wochen veröffentlicht werden soll, so führt Julian Assange aus, beziehe sich auf drei große Organisationen in drei unterschiedlichen Ländern. Und es werde sicher auch Einfluss auf die Präsidentschaftswahlen in den USA haben. „Wir werden eine Armee brauchen, die uns dann verteidigt“, sagt Assange. Mit „Armee“ meint er Journalisten. Inwiefern wieder Hillary Clinton, zu der Wikileaks eine tiefe Feindschaft pflegt, im Zentrum steht, ließ er offen.
Dies ist eine Masche, die Wikileaks schon seit Langem auszeichnet: zu sagen, wie geil der Stoff ist, noch ehe der Stoff auf dem Markt ist.
Und so könnte es sein, dass schon in Kürze wieder etwas passiert, das die Geschichte von Wikileaks in ein neues Licht stellt. Schon seit Wochen wird in US-Medien spekuliert, Wikileaks könne noch vor den Wahlen in den USA Material veröffentlichen, das Hillary Clinton die Präsidentschaft kosten könne.
Es könnte aber ebenso sein, dass die kommenden Monate nicht nur über die Zukunft von Hillary Clinton entscheiden, sondern auch über die von Julian Assange. Er sagt an diesem Dienstag schließlich doch nicht, dass er gehen wird, aber er betont: Auch wenn er selbst abtreten müsse, stehe Wikileaks eine große Zukunft bevor. Das sind Worte, die er ganz ohne Not spricht. Warum?
Im Februar 2017, wenn in einem Land namens Ecuador wieder gewählt wird, könnte eine neue politische Führung dort auch darüber befinden, wie lange einer der größten Staatsfeinde der USA noch in der ecuadorianischen Botschaft in London leben soll. Dort lebt Assange seit 2012 im Exil, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, wo wegen Missbrauchsvorwürfen gegen ihn ermittelt wird. Wenn es dann bitter kommt, könnte ein neuer ecuadorianischer Präsident Assange in London allein stehen lassen und eine neue amerikanische Präsidentin ihn in die USA einfliegen.
4 Oct 2016
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