taz.de -- Nach dem Anschlag von Nizza: Angeblich seit kurzem radikalisiert

Zwei weitere Personen wurden festgenommen. Der Attentäter hat den Tatort vorher ausgekundschaftet. Frankreich mobilisiert für den Reservedienst.
Bild: Die Ermittlungen laufen weiter: Blumen am Strand von Nizza

Paris afp/dpa | Im Zuge der Ermittlungen nach dem Anschlag von Nizza sind in Frankreich am Sonntag zwei weitere Personen festgenommen worden. Es handelte sich um einen Mann und eine Frau, wie die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Justizkreise meldete. Zugleich wurde bekannt, dass der Attentäter Mohamed Lahouaiej-Bouhlel den Tatort an der Promenade des Anglais am 12. und 13. Juli ausgekundschaftet habe.

Nach dem Anschlag mit mehr als 80 Toten waren schon die Ex-Frau des Attentäters und vier Männer aus seinem engeren Umfeld festgenommen worden. Sie waren am Sonntag weiter in Polizeigewahrsam.

Die ersten Vernehmungen der Festgenommenen hätten daraufhin gedeutet, dass sich der noch nicht als Islamist aktenkundige Täter in jüngster Zeit dem radikalen Islam zugewandt habe, berichtete AFP unter Berufung auf Polizeiquellen.

Auch Frankreichs Premierminister Manuel Valls ist davon überzeugt, dass der Attentäter ein radikaler Islamist war – wenn auch erst seit kurzem. Bei den Ermittlungen sei herausgekommen, „dass sich der Attentäter sehr schnell radikalisiert hat“, sagte Valls der Sonntagszeitung Journal du Dimanche. Die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) rufe auch gezielt Einzeltäter, „die unseren Geheimdiensten unbekannt sind“, zu Anschlägen auf. Die dem IS nahestehende Nachrichtenagentur Amak bezeichnete den Tunesier am Samstag als „Soldat“ des IS.

Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve hat indes am Samstag alle willigen „patriotischen Bürger“ zum Reservedienst bei den Sicherheitskräften aufgerufen. Der Appell richte sich an französische Staatsbürger mit und ohne militärische Ausbildung und ebenso an ehemalige Soldaten, gab Cazeneuve bekannt. Präsident François Hollande hatte sich bereits am Freitag dafür ausgesprochen, die Reihen der Polizei und Gendarmerie zu stärken.

Die „operativen Reservekräfte“ in Frankreich bestehen derzeit aus 12.000 Freiwilligen. 9.000 davon gehören der paramilitärischen, 3.000 der regulären Polizei an. Cazeneuve sagte: „Wir werden die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land ausbauen.“ Die Zahl der zum Schutz der Bevölkerung abgestellten Sicherheitskräfte gab der Minister mit fast 100.000 an, darunter 53.000 Polizisten, 36.000 paramilitärische Polizisten und 10.000 Soldaten.

Der 31-jährige Tunesier war am Donnerstagabend in Nizza mit einem Kühllastwagen in eine Menschenmenge gerast, die auf der Promenade des Anglais das Feuerwerk zum französischen Nationalfeiertag beobachtet hatte. Mindestens 84 Menschen wurden getötet und mehr als 300 verletzt. Der teilweise noch gesperrte Straßenabschnitt soll am Montag nach einer landesweiten Schweigeminute wieder ganz für den Verkehr geöffnet werden.

17 Jul 2016

TAGS

Schwerpunkt Frankreich
Terrorismus
Nizza
Islamismus
Nizza
Nizza
„Islamischer Staat“ (IS)
Nizza
Terrorismus

ARTIKEL ZUM THEMA

Debatte Massenmord in Nizza: Ein Gebot der Vernunft

Auch nach dem Anschlag von Nizza beginnt wieder die reflexhafte Suche nach rationalen Erklärungen. Aber was, wenn es die nicht gibt?

Ermittlungen zum Anschlag von Nizza: Drei Festnahmen, eine Freilassung

Die französischen Sicherheitskräfte fahnden weiter nach Komplizen des Attentäters. Beweise für eine Beziehung zwischen ihm und der Terrormiliz IS fehlen weiterhin.

Attentäter von Nizza: „Ein übler Typ“, aber kein Religiöser

Zum Täterprofil des Attentäters von Nizza bleiben viele Fragen offen. Doch die Regierung spricht von einer „schnellen Radikalisierung“.

Ermittlungen dem Anschlag von Nizza: Der IS beansprucht die Tat für sich

Vier Personen wurden von französischen Ermittlern festgenommen. Sie sehen noch keine Verbindungen zum Islamismus. Der IS lässt anderes verlautbaren.

Medienethik-Debatte nach Nizza: Drei, zwei, eins – live

Welche Videos und Bilder dürfen nach Anschlägen gezeigt werden? Eine moralische Frage, die längst nicht mehr nur JournalistInnen betrifft.

Kommentar Anschlag in Nizza: Die Strahlkraft des IS

Der „Islamische Staat“ ist immer wieder Vorbild für einzelne Gewalttäter. Wer das verhindern will, muss ihn an seinen Basen attackieren.